Der Writing Friday ist ein Projekt, das ich bei elizzy entdeckt habe.
Jeden Freitag veröffentlichen alle Mitmachenden einen Beitrag, den sie zu einem vorgegebenen Thema geschrieben haben, sei es als Kurzgeschichte, Gedicht, oder ähnlichem – genaueres steht in den Regeln ganz am Schluss, und der Juli hatte wieder interessante Schreibaufgaben zu bieten.
Meine Geschichte „Projektwoche“, die mit dem Satz: “Dieser Sommertag, war nicht wie jeder andere, denn…” begann, bildete die Fortsetzung zu „Simplicissimus“, in der die Wörter „Schneckenhaus, grasgrün, Baum, Gelächter und Buch“ vorkamen. Nun findet die Reihe mit der Aufgabe, über eine Romanze in einer Gelateria zu schreiben, vorerst ihren Abschluss…
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Der gefrorene Moment
Was hast Du Dir bloß dabei gedacht? Wenn er sich nicht wie ein Weltmeister in einem Affenzahn die Finger wund getippt hätte, wären wir niemals rechtzeitig mit diesem Referat fertig geworden. Und schon gar keine zehn Punkte dafür bekommen. Und so dankst Du es ihm: Indem Du einfach ein Foto schießt und dann abhaust? Wenigstens fragen hättest Du können. Jetzt ist er bestimmt sauer. Und das zu Recht… Dass sie sich einfach so angeschlichen und den Auslöser betätigt hatte – wie leicht das doch gewesen war. Jetzt plagte sie das schlechte Gewissen.
Das Motiv war aber auch zu verlockend gewesen. Ihr erstes Foto für ihr Projekt, das einzige an diesem Tag: in der Mitte gestochen scharf, und der konzentrierte Gesichtsausdruck ihres Klassenkameraden an der Gitarre als zentrales Bildmotiv, an den Rändern leicht verwischt. Heute morgen war der Film dann doch noch voll geworden. Lea hatte ihn kurz darauf entwickelt und sich geradewegs in die Früchte ihrer Arbeit verliebt. Kontrastreiche Aufnahmen waren genau ihr Ding, und jetzt konnte sie womöglich davon nur einen Teil verwenden. Es war zum Heulen! Bilder von Leuten ohne deren Zustimmung zu veröffentlichen oder irgendwo hochzuladen, war für sie persönlich tabu – auch wenn angeblich alle Teilnehmer an der Projektwoche mit ihrer Unterschrift auf einem Wisch ihr Einverständnis dazu gegeben hatten. Die Aufnahmen sollten ja nicht online gestellt werden, sondern in einer gedruckten Sonderausgabe der Schülerzeitung für die erste Woche des neuen Schuljahres erscheinen. Ja, träumt schön weiter. Ihr werdet schön dumm gucken, wenn die ersten Beschwerden eintrudeln. Nein, so lange das nicht geklärt war, blieb dieses Foto unter Verschluss. Es half nichts, sie musste so schnell wie möglich mit Michael reden.
Leider war ihr Fotomodell wider Willen wie vom Erdboden verschluckt. Lea hatte das gesamte Schulgelände durchkämmt, musste sich dann aber geschlagen geben und die Suche abbrechen, denn sie war um fünfzehn Uhr mit Sally bei Claudio verabredet, und sie wollte sie nicht versetzen. Mit den Negativen und einigen Abzügen in ihrer Tasche, betrat sie kurz vor drei das Eiscafé. Sally erwartete sie bereits mit Spannung. Auch Lea war neugierig auf das, was Sally im Alleingang fabriziert hatte. Sie hoffte, dass sie dadurch auf eine sinnvolle Idee für ihr gemeinsames Projekt kamen.
Bild für Bild wanderte aus Sallys Mappe auf den kleinen Cafétisch, auf dem es bald schon kein freies Fleckchen mehr gab, so dass der Kellner Mühe hatte, die beiden Milchshakes – Schokolade für Sally und Limette für Lea – so zu plazieren dass sie nicht umkippten und sich über die Fotos ergossen. Das wäre schade, denn Sally war gestern unglaublich produktiv gewesen. Zwar war Finn auffallend oft auf den Bildern zu sehen, aber dafür hatte sie auch einen ordentlichen Querschnitt durch das gesamte Kursangebot der Projektwoche eingefangen. Natürlich waren die Basketballer doch dabei gewesen, wenn auch ohne Jo. Wetten, dass der von ihr Angebetete dieselbe Idee gehabt hatte? Sally hatte sich also immer noch nicht von dieser fixen Idee verabschiedet, ihrem Schwarm auf Schritt und Tritt zu folgen.
„Du warst ja richtig fleißig – im Gegensatz zu mir.“ Das Kompliment fiel ihr nicht leicht, und im Gegenzug wollte Sally wissen, ob das stimmte. „Hier, bitte“, sagte Lea und holte die wenigen Aufnahmen aus der Tasche: Fahrräder im Detail – so früh am Morgen war sie dabei niemandem im Weg gewesen; das Arbeitsmaterial und die Schneiderpuppen der Näh-AG – ein bißchen wenig, um das Ergebnis zu erraten; und schließlich die Reagenzgläser, Kittel und Schutzbrillen der Chemie-AG in ihrem Versuchslabor. Die Negative, die zwischen den Bildern lagen, waren Sally egal. Ihr Interesse galt den Bildern. Warum hatte Lea nicht mehr aus ihnen herausgeholt? Und warum waren es so wenige, wo sie doch so viele Negativstreifen hatte? Sie war sich sicher, dass die Partnerin ihr etwas verheimlichte. Es musste einen Grund haben, dass sie vorhin so hastig und gleichzeitig übertrieben lässig ihre Arbeiten aus der Tasche gezogen hatte. Sallys Moment war gekommen, als Lea zur Toilette ging: Mit fliegenden Fingern arbeitete sie sich durch deren riesige Tasche. Dass Lea ein kleiner Messie war, hatte sie schon gestern geahnt, aber dieses Chaos übertraf alles. Wonach suchte sie eigentlich konkret? So langsam lief ihr die Zeit davon… doch halt! Was war das? Wieso hatte Lea dieses geniale Foto unterschlagen? Ein Typ an der Gitarre, das erste Bild, auf dem Lea eine Person abgelichtet hatte und das endlich mal interessant war. Aber was für eines… Fasziniert starrte sie diesen Gesichtsausdruck an, den nur Menschen haben können, die in ihr Tun so vertieft sind, dass sie alles um sich herum vergessen…
So wie Sally gerade in diesem Augenblick.
Erwischt! Da gehe ich bloß für fünf Minuten aufs Klo, und die Kollegin schnüffelt einfach in meinen Sachen? Ohne mich vorher zu fragen? Halt, Sally Thompson. Sie werden… zu meinem nächsten Opfer. Gedacht, getan – ohne nachzudenken, griff sie nach ihrer Kamera, die sie die ganze Zeit über umhängen hatte und visierte Sally an. Diese saß wie eingefroren da und starrte das Foto an, das Lea von Michael geschossen hatte, und konnte ihren Blick nicht von ihm lösen. Vergessen war Finn, der ihr bisher sowieso nur die kalte Schulter gezeigt hatte. Sie musste blind gewesen sein. Warum hatte Lea ihr dieses Foto vorenthalten? Und vor allem: Wer war er? Ein Räuspern riss sie aus ihren Tagträumen. Lea stand plötzlich hinter ihr – was für ein peinlicher Moment. Vor lauter Schreck kiekste Sallys Stimme eine Oktave höher das erstbeste, das ihr einfiel: „Wer ist denn dieser schnuckelige Typ an der Gitarre?“ – So ein affiges Getue! Kein Wunder, dass Lea wenig begeistert war: „Erstens ist das privat und geht dich nichts an“, gab sie zurück und entriss ihr das Foto. „Und zweitens heißt ‚der schnuckelige Typ‘ Michael und sitzt dort drüben.“ – Da drüben… was für eine kryptische Angabe: Unter den Sonnenschirmen konnte Sally ihn jedenfalls nicht entdecken. Oh Mann, wie schwer von Begriff konnte man sein? Lea fasste sich innerlich an die Stirn und deutete mit ihrem ausgestreckten Eislöffel quer über den Platz, an dessen anderem Ende ihr Klassenkamerad mit einer Gitarre auf einem Hocker saß und spielte, während Passanten Kleingeld in die Zigarrenkiste zu seinen Füßen warfen. Lange konnte er da noch nicht sitzen, und sie wusste, wenn er sie sah, war die Situation da, die sie insgeheim fürchtete: der Moment, Farbe zu bekennen.
Fasziniert folgte Sally Leas Wegweiser mit den Augen und blieb an ihm hängen. Ja, das war er – genauso chaotisch wie auf dem Bild, aber irgendwie süß. Hatte Michael Leas Gefuchtel mit dem Löffel mitbekommen oder war das ein Fall von Gedankenübertragung? Als er den Kopf hob, traf sein Blick den von Sally. Für einen Moment stand die Erde still, und die Zeit fror ein. Michael hörte auf, zu spielen. Stille. Selbst das Gezwitscher im Baum über ihnen verstummte. Welche Ähnlichkeit mit dem Film „Matrix“ diese Szene auf einmal hatte – ein Bann, den für die wenigen, sich unendlich anfühlenden Sekunden nichts und niemand brechen konnte. Nicht der Kellner mit seinem Gewusel, nicht Lea, und nicht die vorbeihuschenden Leute. Dann kam er wie in Zeitlupe auf die beiden Mädchen zu, von denen ihn eine mit offenem Mund anstarrte, während das Eis in ihrem Glas dahinschmolz. Und die wiederum von Lea ins Visier genommen wurde. Ach ja, richtig, mit Lea hatte er ja auch noch ein Hühnchen zu rupfen. Sie hatte etwas, das ihm gehörte, aber da er mit seiner AG den ganzen Vormittag auf der Musikmesse gewesen war, hatte es noch keine Gelegenheit gegeben, sie zur Rede zu stellen. Wie praktisch, dass sie hier war. Zwar nicht allein, aber seltsamerweise machte ihm das nicht das Geringste aus. Verflogen war der Ärger über die peinliche Aktion mit dem Foto. Leas Freundin war genau sein Fall. Und das war genau sein Problem – mit dem Ansprechen von Mädchen, die ihm gefielen, hatte er es bisher nicht so gehabt. Dazu war er viel zu schüchtern. Aber irgend etwas war heute anders. Vielleicht war die unangenehme Sache mit Leas Foto daran schuld.
Das Foto: Ohne lange nachzudenken, griff er nach dem dritten Stuhl, schwang sich darauf und nahm es vom Tisch. Lea hatte ihn wirklich gut getroffen. Respekt. Aber sein Gesicht in der Schülerzeitung? Dazu würde es nicht kommen, denn jetzt diente das Bild einem anderen Zweck. Aus seiner Jeansjacke zauberte er einen Kuli hervor und kritzelte etwas auf die Rückseite des Fotos, das er mit einer nonchalanten Geste Sally überreichte. Dann wendete er sich Lea zu und ließ sich von ihr des Streifen mit seinem Negativ aushändigen. „Den Rest bekommst Du morgen von mir zurück.“, verabschiedete er sich und warf Sally einen letzten Blick zu. „Wir sehen uns.“ Dann nahm er seine Gitarre und verschwand.
Sally sah ihm noch lange hinterher. Dass Lea neben ihr zusammenpackte und den Kellner rief, um zu zahlen, nahm sie nur undeutlich wahr. Und selbst nachdem Lea schon gegangen war, saß sie noch da und versuchte, ihre Achterbahn fahrenden Gedanken zu sortieren. In ihrer Hand hielt sie noch immer das Foto mit seiner Telefonnummer auf der Rückseite. Er hatte den ersten Schritt getan. Jetzt war sie am Zug.
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That’s it.. Wenn ich eines gemerkt habe, dann dass meine Texte mit jedem Mal länger werden (Teil 1 = zwischen 900 und 1000 Wörtern, Teil 2 = mehr als 1500 Wörter, Teil 3 = auch fast 1500). Hugis gruseliges Erlebnis hatte auch an die zwölfhundert. Wenn also jemand Tips für mich hat, wie’s auch kürzer geht, fände ich das spitze. So, und nun die üblichen Worte zum Abschluss:
Die restlichen Schreibaufgaben für den Juli lauteten:
- Schreibe über eine Romanze in einer Gelateria.
- Fippo der Fuchs hat sich in die Stadt verirrt. Was erlebt er dort?
Die Regeln:
- Jeden Freitag wird veröffentlicht
- Wählt aus einem der vorgegeben Schreibthemen
- Schreibt eine Geschichte / ein Gedicht / ein paar Zeilen – egal Hauptsache ihr übt euer kreatives Schreiben
- Vergesst nicht den Hashtag #WritingFriday und den Header zu verwenden
- Schaut unbedingt bei euren Schreibkameraden vorbei und lest euch die Geschichten durch!
- Habt Spaß und versucht voneinander zu lernen