Die nächsten Tage gestalteten sich nicht gerade einfach. Oh, diese Peinlichkeit! Am liebsten hätte ich mich irgendwo verkrochen, aber das ging nicht. Schließlich hatte ich immer noch einen Job, und den jetzt wegen so einem Bullshit zu riskieren, war das Letzte, was ich wollte. Ich hätte mich ohrfeigen können. Weniger Alkohol konsumieren und öfter das Hirn einschalten, war die Devise, an die mich mich besser gehalten hätte. Aber nun war das Chaos angerichtet, und das einzige Mittel, das ich mir vorstellen konnte, um die Wogen zu glätten, war auf Tauchstation zu gehen.
So früh wie möglich vorfahren, alles aufbauen, mich während des Konzerts so wenig wie möglich blicken lassen und ansonsten versuchen, dem Herrn, mit dem ich drauf und dran gewesen war, eine Dummheit zu begehen, so wenig wie möglich über den Weg zu laufen. Wenn dieser Plan nicht funktionierte, dann war ich mit meinem Latein wirklich am Ende. Einen Haken hatte dieser Plan jedoch.
Ein Zusammentreffen mit Ryan zu vermeiden, war ja gut und schön und sicherlich auch vernünftig, aber das bedeutete auch, dem Mann am Mikrofon aus dem Weg zu gehen, denn wo der Drummer sich aufhielt, war auch Mr. Mitchell nicht weit. Let’s play hide and seek? Eigentlich hatte ich für so ein Katz-und-Maus-Spiel keinen Nerv. Aber wenn es nicht anders ging, musste ich wohl in den sauren Apfel beißen. So lange es genug zu tun gab, waren die Tage halbwegs erträglich. Nur die freien Tage, von denen es zwischendurch auch den ein oder anderen gab, waren für mich weniger erfreulich. Okay, die einzelnen Bandmitglieder nutzten die Zeit zum Ausschlafen und Proben – und dabei musste ich nicht ständig anwesend sein. Dachte ich jedenfalls.
Fünf Minuten nach sieben. Ich war extra früh aufgestanden und schlürfte den ersten Kaffee des Tages, während im Hintergrund des Frühstücksraums das Radio dudelte.
♫ „Oh sure, you’re right – this ain’t a good life.“ ♫
Ja, klasse – dieser Hit aus den Neunzigern hatte mir zu meinem Glück gerade noch gefehlt.
♫ „I’m elegantly wasted.“ ♫
Wahre Worte. Leider erinnerten sie mich nur zu gut an meinen Fauxpas, der nun schon ein paar Tage zurücklag, aber immer noch an mir nagte.
♫ „You could be right, you could be certain…. I’m elegantly wasted.“ ♫
Ich Feigling hatte auch allen Grund, mich so richtig schlecht zu fühlen, hatte ich mich bisher doch recht erfolgreich um eine Aussprache herumgedrückt. Aber warum eigentlich? Der eine, für den es mir wirklich leid tat, war sauer, und der andere, von dem ich nun wirklich nichts wollte, rechnete sich immer noch Chancen bei mir aus… Zwar hatte ich auf diese Art von Konfrontation nun wirklich sehr wenig Lust, bezweifelte aber gleichzeitig, dass sich mein Untertauchen auf Dauer als Strategie bewähren würde.
„Your coffee, madam.“
Wie nett, dass man mir den Kaffee an den Tisch brachte. Aber noch mehr Kaffee? Ob das gut für mich war? Ehrlich gesagt, kümmerte mich das nicht die Bohne. Wenig bis fast nichts am frühen Morgen zu essen, war sicherlich genauso wenig meinem Wohlbefinden zuträglich, aber außer Kaffee brachte ich nichts hinunter. Schon gar nicht um diese Zeit. Was stehst du auch so früh auf, hätte mich Jenny jetzt gefragt. Aber was soll man denn sonst tun, wenn man seit fünf Uhr wach ist und einfach kein Auge mehr zubekommt. Also tat ich das, was ich immer tue, wenn ich nicht mehr schlafen kann: Ich stehe auf und beschäftige mich anderweitig, zum Beispiel lesen oder Tagebuch schreiben oder, wie heute morgen, ein paar Bahnen im Pool schwimmen.
Das Motel hatte zwar ein eigenes Schwimmbecken, aber das wurde gerade generalüberholt, und deswegen wies ein Aushang im Foyer darauf hin, dass es zwei Straßen weiter einen öffentlichen Pool gab, der schon um sechs Uhr morgens öffnete. Vielleicht war es doch kein Zufall, dass ich so früh wachgeworden war. Vielleicht brauchte ich einfach nur etwas Bewegung, um den Kopf freizubekommen. Meine verspannten Muskeln würden es mir auf jeden Fall danken. Eine halbe Stunde im Wasser reichte schon, um mich besser zu fühlen.
Mit meinem Becher, an dem ich meine Finger wärmte, denn am Fenster war es doch etwas frisch, lehnte ich an der Wand und ließ meine Blicke durch den Frühstücksraum schweifen. Außer mir waren nur die notorischen Frühaufsteher anwesend. Touristen, die ihrer Ausrüstung nach zu urteilen, bald zum Wandern aufbrechen würden. Von unseren Leuten war noch niemand zu sehen. Aber wie war das mit Murphy’s Law? Alles, was irgendwie schiefgehen kann, wird irgendwann schiefgehen?
Hatte ich eben noch genossen, dass ich einen Tisch für mich allein hatte, war es im nächsten Augenblick damit auch schon vorbei, denn einer nach dem anderen trudelten sie ein, meine Kollegen von der Technik. Die Fahrgemeinschaft war so gut wie komplett, nur Leslie fehlte noch. Dafür hatte sich ihnen Brian angeschlossen. Aber der war nicht zum gemütlichen Plaudern mitgekommen, sondern weil er etwas zu verkünden hatte.
„So, Leute. Schön, dass ihr es als Erste erfahren dürft.“
Na, der machte es ja spannend.
„Es gibt Neuigkeiten…“
Ich fragte mich, was es so wichtiges geben konnte, dass er früher als sonst aufgestanden war. Anscheinend wollte er noch warten, bis Leslie und die beiden Roadies da waren, aber er hatte Glück, denn die drei betraten den Frühstücksraum kurz nach ihm. Mittlerweile zeigte die Uhr viertel vor acht. Ich hatte die Zeit beinahe vergessen; jetzt war ich hellwach.
„Oho, eine Versammlung!“ rief Paul uns entgegen. „Was verschafft uns die Ehre?“ Die Ironie in seiner Frage war kaum zu überhören. Brian ignorierte ihn und fuhr mit seiner Ansprache fort.
„Da wir jetzt alle vollzählig sind, mache ich es kurz“, erwiderte er und blickte uns einen nach dem anderen an. Mich ein wenig länger. Oder bildete ich mir das nur ein? „Ich habe eine Nachricht, die euch alle interessieren dürfte. Die Klinik hat sich gemeldet.“
Die Klinik? Das konnte nur eines bedeuten. Aber wieso…. wann hatte er den Anruf bekommen? Heute morgen? Noch vor dem Frühstück?
„Ja, Leute. Es ist soweit. Steve ist anscheinend wieder so fit, dass er übernächste Woche wieder einsatzfähig ist.“
Entgeistert starrte ich Brian an. War es also doch soweit. Wie gut, dass ich mir noch keinen Teller geholt hatte. Das Brötchen wäre mir im Hals steckengeblieben: Na, herzlichen Glückwunsch. Wirklich freuen konnte ich mich nicht, obwohl ich Steve nur das Beste wünschte und ihm seine baldige Rückkehr gönnte. Schließlich war so ein Herzanfall nichts, mit dem man spaßte und das man so einfach wegsteckte.
Aber andererseits wusste ich auch, was das für mich bedeutete: Time to say good-bye. Dass es in elf Tagen soweit sein würde, bekam ich mit, als ich mich erhob, um mir neuen Kaffee zu holen. Noch mehr Kaffee… Ich würde noch in Kaffee ertrinken, wenn das so weiterging. Essen konnte ich nach dieser Nachricht erst recht nichts. Mit einem Kloß im Hals und dem Kaffeebecher in der Hand verzog ich mich nach draußen auf den Parkplatz. Die Neuigkeit musste ich erst mal verdauen. Im Grunde hatte ich von vornherein gewusst, dass mein Aufenthalt zeitlich begrenzt war, und im Prinzip konnte ich mich glücklich schätzen, dass ich durch den unvorhergesehenen Aushilfsjob an eine Verlängerung gekommen war, die ich vorher nie im Sinn gehabt hatte. Warum also stellte ich mich so an?
Die blöden Kommentare von Paul und Frank gingen mir am Allerwertesten vorbei. Meinetwegen sollten sie lästern, so viel sie wollten. Ich wollte nur eines: meine Ruhe. Da mein Nachbar auf der Rückbank ebenfalls nicht sonderlich gesprächig war, konnte ich mich zurücklehnen und die Augen schließen. Sollten sie ruhig glauben, dass ich hinter meiner Sonnenbrille ein Nickerchen machte, weil ich mich beim Frühsport verausgabt hatte. Hauptsache ausgeruht ankommen, denn es lag noch ein langer Tag vor uns. Schlafen konnte ich allerdings nicht. Wenn ich so darüber nachdachte, wie viel ich für meine Abreise noch zu organisieren hatte, wurde mir schlecht.
Ich hatte keine Ahnung, wie das klappen sollte; wären wir noch in Vancouver gewesen, hätte die Sache anders ausgesehen. Da war es bis zum Flughafen ein Katzensprung, aber hier befanden wir uns am Arsch der Welt. Und selbst wenn ich es noch schaffen sollte, rechtzeitig zurückzukehren – wenn ich Pech hatte, und das war nicht auszuschließen, war gerade kein Flug in die Heimat verfügbar und ich würde mich auch noch um eine Unterkunft kümmern dürfen. Von welchem Geld auch immer. Wenn es ganz blöd lief, müsste ich mir am Ende noch Geld per Western Union schicken lassen. Was für eine Blamage. Hätte ich diesen Job doch bloß nie angenommen.
„Lunch Break!“ verkündete Dave und steuerte das nächste Schnellrestaurant an.
Bitte alle aussteigen. Wir machen vierzig Minuten Pause. Vierzig Minuten Zeit, um einen Happen zu essen und sich die Beine zu vertreten. Was die anderen derweil taten, entging mir komplett. Ich verkrümelte mich mit meiner Cola und meinen Fritten ans andere Ende des Parkplatzes, wo sich niemand befand außer ein paar Krähen, die in achtlos weggeworfenen Burgerverpackungen herum pickten. Kein Wunder. Eine zugemüllte Pausenecke konnte niemand gemütlich finden. Lustlos kaute ich auf meinen Fritten herum. Richtigen Appetit hatte ich immer noch keinen. Verdammt, warum drehten sich meine Gedanken ständig im Kreis?
Alles Grübeln brachte mich einer brauchbaren Lösung nicht einen Schritt näher. Und besser fühlte ich mich dadurch auch nicht. So langsam reichte es mir: Irgendwie zog ich in der letzten Zeit eine Arschkarte nach der anderen. Selbst die Dreihundert-Milliliter-Becher waren nicht mehr das, was sie mal waren. Mist. Schon leer. Leise knirschender Kies…. dass hinter mir jemand vorbeiging, nahm ich nur am Rande wahr.
Mich beschäftigte immer noch mein schiefgelaufenes Work & Travel. Was war das nur für eine Schnapsidee gewesen; und der Job, den ich zur Zeit noch hatte, war auch nicht das Gelbe vom Ei. Zwar hatte ich ihn angenommen, aber auf meinem Mist war die Idee trotzdem nicht gewachsen. Warum zerbrach ich mir hier eigentlich noch länger meinen Kopf? Sollte sich doch der Manager der Band darum kümmern.
Genervt stopfte ich meinen leeren Colabecher in den nächsten Mülleimer und wäre um ein Haar mit Bradley zusammengestoßen, der mir gefolgt sein musste, ohne dass ich es gemerkt hatte. Blindlings loszustürmen und dabei versuchen, eine saubere Kehrtwendung hinzubekommen, ist mir noch nie gelungen. Warum sollte nun dies hier die berühmte Ausnahme von der Regel sein?
„Bist du okay?“ Okay war überhaupt nichts, aber ich wusste seine Anteilnahme zu schätzen. „Ich wollte vorhin ja nichts sagen, aber…“ Worauf wollte er hinaus? „… wirklich begeistert hast du nicht gewirkt, nach der Nachricht – so schnell, wie du heute morgen verschwunden bist.“
Klar, wie würdest Du Dich fühlen, wenn Du vor allen aufs Brot geschmiert bekommst, dass Dein Typ nicht länger erwünscht ist und gewisse Leute ihre Schadenfreude nicht verbergen können, hätte ich ihm am liebsten an den Kopf geworfen. Vielleicht wurmte mich genau das am meisten. So viel zu der These, dass mich die Äußerungen der beiden Typen, die mich von Anfang an auf dem Kieker gehabt hatten, absolut kalt ließen.
Und auch wenn ich genervt darüber war, dass ich mir anscheinend gerade selbst etwas vormachte – angefaucht zu werden, hatte Bradley nicht verdient. Er konnte ja nichts dafür. Außerdem war er ein anständiger Kerl, der nie auf die Idee gekommen wäre, jemanden vor versammelter Mannschaft bloßzustellen, so wie es besagte Kollegen getan hätten, ohne mit der Wimper zu zucken. Außerdem war er wieder da, der Kloß im Hals, der es mir unmöglich machte, überhaupt etwas zu sagen. Aber mein Schweigen war auch so deutlich genug.
„Hier“, sagte er und zog ein Taschentuch aus seiner Jacke und gab es mir.
Noch im selben Augenblick wusste ich auch, warum. Der Kloß geriet in Bewegung. Mist! Hier loszuheulen, konnte ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Auf einem Parkplatz. In der Einöde – in the middle of nowhere. Mit einem Kollegen, der sich davon nicht abschrecken ließ, sondern sich anscheinend wirklich Sorgen um mich machte und dem die Art und Weise, wie ich abserviert wurde, ebenso wenig gefiel.
Wenn ich mit allem gerechnet hätte – damit nicht. Seiner Meinung nach sollte ich mich nicht auch noch selbst mit dem Papierkram belasten, denn das wäre die Aufgabe des Managers, sich um den Transfer und die Organisation des Fluges nach Hause zu kümmern. Auch wenn es nicht Brian war, der mir in seinen Augen den Schlamassel überhaupt erst eingebrockt hatte, sondern Mike Mitchell.
Wenn er geglaubt hatte, dass mich das trösten würde, lag er so weit daneben wie nur irgend möglich, denn an dieser Stelle verlor ich erst recht die Fassung. Daran erinnert zu werden, war wie Salz in eine Wunde gerieben zu bekommen. Der Knoten in meiner Kehle löste sich nun vollends auf – in Tränen, von denen ich nicht wusste, wie ich sie stoppen sollte. ‚Ach du Scheiße‘, stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er mir erschrocken über meine Reaktion die gesamte Packung Tempos entgegenhielt. Viel tun konnte niemand von uns, außer warten, bis ich mich wieder beruhigt hatte.
„Ach herrje“, murmelte er mit belegter Stimme, „Es liegt nicht nur daran, dass Brian Steve übernächste Woche zurückholt. Es ist Mike. Dir liegt tatsächlich etwas an ihm…“
Was für eine bahnbrechende Erkenntnis. Was dachtest Du denn, Bradley Jackson? Dass das nur ein harmloser Flirt oder eine freundschaftliche Kabbelei zwischen eurem Sänger und mir war, auch wenn euer Oberarschloch von Roadie sich gerne das Maul über unsere angebliche Affäre zerriss und dreckige Witze darüber machte, dass ich Mike nur verarschte, weil ich gerne zwei- oder gar mehrgleisig fuhr.
„So eine Schweinerei“, entfuhr es ihm. „das grenzt ja schon an Mobbing.“
Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen und war nun sichtlich verärgert. Besser gesagt, stinkwütend. Diese Ungerechtigkeit trieb ihn tatsächlich auf die Palme, und wenn er gekonnt hätte, hätte er auf der Stelle den Manager gesprochen. Aber Brian war nicht hier, sondern bei seinen Jungs. Nun war ihm auch klar, woher meine blauen Flecken und Schrammen tatsächlich gekommen waren. Aha. Hatte Dave also doch gepetzt. Wo ich ihn doch so darum gebeten hatte, nichts zu sagen. Aber das verstand er noch viel weniger.
„Warum hast du nicht schon längst etwas gesagt? Wir hätten zu Brian gehen soll…“
„Lass gut sein, Bradley“, unterbrach ich ihn müde. Inzwischen waren auch meine Tränen versiegt, und ich hatte mich wieder halbwegs gefangen, „glaub mir, es hätte alles nur viel schlimmer gemacht.“
„Aber…“
„Bitte. Es spielt doch ohnehin keine Rolle mehr. In elf Tagen ist das hier alles Geschichte. Dann bin ich weg und Schnee von gestern. Und keiner von euch wird mir eine Träne nachweinen, so eingespannt wie ihr seid… und Mike am allerwenigsten. Nach der Aktion von neulich.“
Ja, so ernüchternd es klang, und wie mir in diesem Augenblick klar wurde: Der abgedroschene Spruch vom Ende mit Schrecken erschien mir nur zu wahr. Vielleicht war dieser Abschied das Beste, was mir passieren konnte, und wer weiß – später wäre ich wahrscheinlich sogar froh darüber, dass ich diesen Kontinent endgültig verlassen musste, und vermutlich nie wieder dort hin zurückkehren würde.
„Sag doch so was nicht!“
Nanu, sollte das jetzt eine weitere Liebeserklärung werden, vom inzwischen wievielten Kandidaten? Verdammt nochmal, was war bloß mit denen los? Für was hielten die mich? Für das Groupie der Band? Und der Crew gleich mit? Bloß nicht! So langsam begann ich, mir Gedanken darüber zu machen, welche Signale bei ihnen ankamen. Ich konnte mich nicht erinnern, irgendwen ermutigt zu haben – okay, vielleicht den Drummer, das ging auf meine Kappe. Aber jetzt auch noch der Lichttechniker? Das brauchte ich so dringend wie einen Kropf. Wie sich jedoch noch im selben Augenblick herausstellte, traf meine Befürchtung glücklicherweise nicht zu.
„Es sind nicht alle so.“
Wie das wirklich gemeint war, sollte ich auch gleich erfahren.
„Mir wäre es nicht egal – und ich wüsste wirklich gerne, wie du darauf kommst.“ Ach ja? Jetzt wurde es interessant.
„Very interesting. Schön, dass es wenigstens einem leid tut. Aber wie ich schon sagte – nach der Aktion nach unserem Billardturnier würde mich nicht wundern, wenn er froh ist, dass ich weg bin und er mich nicht mehr sehen muss.“
Die Bitterkeit in meiner Stimme erstaunte mich selbst, aber weiter kam ich nicht, denn Bradley signalisierte mir, dass es besser wäre, wenn wir unser Gespräch unter vier Augen später fortsetzten, denn Dave, Kevin und Leslie befanden sich im Anmarsch.
„Hey, ihr zwei Nachteulen“, rief Leslie quer über den Parkplatz, „die Pause ist beendet. Es kann weitergehen.“
Schön, dass es wenigstens einen interessierte. Aber die Fortsetzung unseres Gesprächs würde warten müssen. Die Fahrt war noch lang, und auf uns wartete noch jede Menge Arbeit. Wie gut, dass das nächste Konzert erst am übernächsten Abend stattfinden würde; Aufbau, Soundcheck und Überprüfung der Sicherheitsstandards lagen damit locker im Rahmen des Zeitplans, und was die Proben der Band angingen, musste ich nur zusehen, dass ich weder ihnen noch den beiden Roadies ständig über den Weg lief. Der einzige, den ich wirklich zu erwischen hoffte, war Brian. Im Grunde hatte Bradley recht: Wichtig war jetzt, dass ich mit ihm besprach, wie es nun weitergehen sollte.
Elf Tage nur – der Entlassungstermin stand fest. Wenn er schon Steve abholte, dann konnte er mich genauso gut nach Vancouver mitnehmen. Aber so lange das Problem des Rückflugs noch nicht gelöst war… allerdings befürchtete ich, dass er außer dem nächsten Gig noch nichts organisiert hatte. Und so war es auch. Vertröstet zu werden, fand ich alles andere als prickelnd, aber was konnte ich schon tun? Mich selbst darum kümmern? Liebend gerne, nur… wann?
Kaum angekommen, wurde ich auch schon zum Kistenschleppen abgestellt. Ausgerechnet jetzt musste sich Paul einen Nerv einklemmen und fiel in seiner Funktion als Roadie erst einmal flach. Gratulation! Einen besseren Zeitpunkt hätte er sich nicht aussuchen können. Das hatte er ja super hingekriegt. Dass mich Frank jetzt nach Herzenslust herumscheuchen und mir die sperrigsten Frachtstücke aufhalsen konnte, passte mir überhaupt nicht, aber als Memme wollte ich auch nicht dastehen und biss die Zähne zusammen. Mein Gott, was hatten die Jungs bloß in die Kisten gepackt? Backsteine?
„Gib Gas!“ hetzte er mich. „Und lass bloß die Finger von den Verstärkern.“
Na klasse. Lieber hätte ich die Gitarren oder meinetwegen auch noch das sperrige Keyboard getragen, aber das verhinderte Frank erfolgreich. Was er da mit mir abzog, war pure Schikane. Aber mich zu beschweren, hatte keinen Sinn, weil er um keine Ausrede verlegen war, wenn es darum ging, wie unsagbar dämlich ich mich angeblich anstellte. Mein Wort würde gegen seines stehen, mit dem Ergebnis, dass man mir nicht glauben würde und er mich bei der nächsten Gelegenheit nur noch schlimmer triezen würde. Aber würde man mir tatsächlich nicht glauben?
Aber das grenzt ja schon an Mobbing, hörte ich Bradley sagen. Ja, natürlich – unser unterbrochenes Gespräch während der Mittagspause – gut, dass er das wie ich sah. Damit waren wir schon zwei. Aber welchen Beweis hatten wir?
„Bist du immer noch nicht fertig?“ Der Kerl machte mich wahnsinnig!
„Wenn du mir nicht immer das schwerste Zeug aufbrummen würdest, wären wir ein ganzes Stück schneller“, giftete ich zurück.
„Komm mir jetzt nicht so. Du weißt genau, was letztes Mal passiert ist!“
So. Jetzt reichte es mir: „Ach ja? Was denn?“ Ich wusste genau, was er meinte, aber wenn er glaubte, den alten Quark erneut aufwärmen zu müssen – bitte sehr: Ich konnte auch anders.
„Tu nicht so unschuldig“, kam er ein paar Schritte auf mich zu und baute sich drohend vor mir auf. Wenn er glaubte, dass ich mich davon einschüchtern ließ, dann hatte er sich geschnitten. „Wer hat denn den Verstärker geschrottet?“ Oh ja, genau darauf hatte ich gewartet.
„Ja, wer wohl?“ gab ich lauernd zurück. „Ich jedenfalls nicht. Schon komisch, dass du es mir anhängen willst…“
„Dir anhängen?!“
Weiß vor Wut packte er mich an den Handgelenken und drückte mich unvermittelt gegen die Hauswand. Seine Stimme war eisig und wurde plötzlich gefährlich leise.
„Was willst du damit sagen?“
Sein Gesicht war so dicht vor mir, dass ich seinen Atem spüren konnte. Shit! Jetzt bekam ich wirklich Angst. In dieser Verfassung war er zu allem fähig. Ich spürte schon die Hand an meinem Hals.
„Gibt’s ein Problem?“
Oh mein Gott, wer auch immer das war – er erschien gerade im richtigen Moment, und Frank ließ so plötzlich von mir ab, wie er mich angegriffen hatte. Hoffentlich würde ihm das eine Warnung sein, denn gerade war er zu weit gegangen, und diesmal gab es einen Zeugen dafür: Bradley Jackson.
„Nein. Alles bestens. Frank und ich hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit, aber ich glaube, die Sache ist geklärt“, antwortete ich und versuchte, mir das Zittern in meiner Stimme nicht anmerken zu lassen, während ich Frank dabei nicht aus den Augen ließ.
Der sagte gar nichts und hätte sich am liebsten diskret zurückgezogen. Dass es in ihm noch immer gärte, konnte ich ihm ansehen. Aber in Bradleys Anwesenheit traute er sich nicht, noch einmal über mich herzufallen. Zähneknirschend sagte er gar nichts mehr und überließ uns das Abladen.
„Schön, dann können wir ja weitermachen“, wandte sich Bradley an mich, „Du schnappst Dir jetzt Johns Equipment, und Dave hilft Dir dabei.“
Damit ließ er es hoffentlich gut sein, und als Frank merkte, dass er heute mit seiner Masche keinen Meter mehr weit kommen würde, machte er sich an den übrigen Kisten zu schaffen, bevor er sich von Bradley noch einen weiteren Rüffel einfangen konnte, weil ich mich wegen seiner schwachsinnigen Anordnungen abrackern durfte, während er das ganze leichte Zeug fröhlich pfeifend abgeladen und nach drinnen geschleppt hatte.
Aber er wäre nicht der Arsch gewesen, für den ich ihn die ganze Zeit über gehalten hatte, wenn er mich beim Abtransport nicht ein letztes Mal absichtlich angerempelt und mir ein „wir sprechen uns noch“ entgegen gezischt hätte. Ha! Das würden wir ja noch sehen, dachte ich aufgebracht und versuchte, die verlorene Fassung wiederzugewinnen. Mist. Mir war immer noch mulmig, aber nach und nach legte sich meine Aufregung.
„Alles okay?“ fragte mich Bradley besorgt.
Nach dieser Aktion war ihm nun endlich klar, wie die Aktien standen. Aber viel Zeit, um uns damit weiter auseinanderzusetzen, hatten wir nicht. Bus und Pick-Up-Truck mussten komplett abgeladen und die gesamte Ausrüstung am Veranstaltungsort abgeladen werden. Auf uns warteten noch einige Stunden konzentrierter Arbeit. Wie hatte Leslie uns so schön genannt? Nachteulen? Damit hatte sie gar nicht so falsch gelegen.
„We are Night Owls: We work at night and sleep all day, but beware of the small hours when the sleep is leaving you.“ Daraus sollte man mal ein Lied machen, dachte ich so für mich und hatte Zeilen eines meiner Lieblingssongs im Kopf.
My life in a nutshell: „Without sleep there are no dreams, without dreams we fall apart at the seams…“ Wie passend, aber „Sleep“ von Conjure One als Ohrwurm? Ernsthaft? Ohrwürmer bekämpft man am besten, indem man sie laut mitsingt oder sie mit voller Power durch die Boxen der Stereoanlage schickt. Aber ob das eine gute Idee war?
„Sleep with me tonight.“ Solche persönlichen Fragen stellte man besser nicht öffentlich, es könnte bei den falschen Leuten falsche Erwartungen wecken. Was für eine Spinnerei! Zum Glück war nicht ich für den Soundcheck verantwortlich, sondern Leslie.
„Test. Test. Test.“ Leslies Stimme tönte laut und voll aus den Boxen. An Mikrofon Nummer Eins war schon mal nichts auszusetzen, wenn die anderen genauso gut funktionierten, dann würde es beim Soundcheck weniger Probleme geben. Bevor die Band aber antrat, waren erst einmal wir gefordert.
„Hey, Leslie“, rief Kevin vom Gerüst herunter, auf dem er gerade stand und an den Strahlern herumfummelte, „gib doch mal ordentlich Stoff.“ Nanu? So gesprächig kannte ich ihn gar nicht. Irgendwas führte er doch im Schilde.
„Wenn Du meinst?!“ rief Leslie grinsend zurück, „was darf’s denn sein? ‚Hells Bells‘ von AC/DC oder ‚Enter Sandman‘ von Metallica?“
„Weder noch“, rief ich dazwischen, ohne nachzudenken, „nimm lieber Conjure One oder Florence & The Machine! Die knallen auch nicht schlecht.“
Beide hatte ich gerade erst auf meinem mp-3-player wiedergefunden und hörte sie in jeder freien Minute. Das Handy war zwar futsch, aber wenigstens hatte ich den noch. Kunststück, er war ja an dem besagten Abend im Hostel geblieben. Manchmal war es gar nicht so schlecht, wenn man seine Playlists überarbeitete. Immer nur U2 und INXS oder andere Highlights der 80er Jahre zu hören, wurde auf Dauer irgendwann auch langweilig; schließlich waren wir inzwischen im 21. Jahrhundert angekommen, da durfte die Musik das ruhig widerspiegeln.
„Okay. Hells Bells kann ich nämlich so langsam echt nicht mehr hören. Ich glaub‘, ich versuch’s mal mit Conjure One – die kenne ich noch nicht.“ brüllte sie zurück.
Gute Wahl, auch wenn es sich um einen Er handelte, der noch dazu aus Vancouver kam. Wie passend! Den orientalisch angehauchten Teil konnte sie ja locker überspringen, aber ich hatte ein paar richtig fette Remixe auf dem Player, da würde sie schon das passende finden.
„Hey, Andie. Stell dich doch mal ans Mikro!“
Was hatte sie denn jetzt vor? Doch hoffentlich nicht das, was Mark neulich auf unserer Fahrt mehr aus Blödsinn vorgeschlagen hatte: ‚Hey, Leute, beim nächsten Soundcheck lassen wir unseren Frontmann durch Andrea vertreten‘. Aber genau das hatte sie vor: Karaoke 2.0 – mit mir am Mikrofon, da der eigentliche Sänger gerade nicht zur Verfügung stand, denn er würde mit seinen Kollegen erst am frühen Nachmittag auftauchen, um die Songs des heutigen Abends nochmal durchzugehen.
Ein bißchen spät, aber bisher hatte sich dieses Prinzip bewährt. Warum auch nicht? Die Anlage funktionierte, wir waren hier nur zu fünft, und keiner außer uns würde mitbekommen, wenn ich mich auf der Bühne blamierte.