Der Oktober steht im Zeichen von Horror, Grusel und mysteriösen Geschichten – so auch mein Beitrag für Christianes aktuelle Etüde. Die Wortspende dazu stammt von mutigerleben und setzt sich zusammen aus den folgenden Worten: Schmutzfink + fabelhaft + mopsen.
Und weil es heute mysteriös wird, habe ich meine eigene Illustration entworfen.
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Die Konfrontation
„Du bist wieder dort gewesen.“
Traurig sah er sie an. Sie musste nichts sagen – die Spuren ihrer nassen Füße von der Haustür bis zum Kamin, vor dem sie sich aufwärmte, sprachen Bände. Das Kleid mehrfach eingerissen und voller Seetang, Arme und Beine voller Abschürfungen: mit dem Dreck im Haar glich seine Jo einem Schmutzfink, doch selbst der Schlamm in ihrem Gesicht konnte ihre Schönheit nicht schmälern.
Inzwischen konnte sie ihre monatlichen Ausflüge nicht mehr verbergen. Immer bei Vollmond zog es Jo hinunter an den Strand, hin zu den anderen, die so waren wie sie. Herausgefunden hatte Aidan es nur durch Zufall, als er eines Nachts wachgeworden war und den Platz neben sich im Bett leer vorgefunden hatte. Heimlich war er ihr beim nächsten Mal nachgeschlichen und hatte sich in einem Alptraum gewähnt. Der Anblick hatte ihn trotz der lauen Sommernacht frösteln lassen: Reglos saßen sie da, zu Dutzenden, dem Meer zugewandt, schauten in die Ferne über Stunden, taten nichts… als ob sie auf etwas warteten.
„Selkies: Fabelhafte Wesen, aus dem Meer geboren“, las er in einem Buch über nordische Sagen und Mythen aus der Bücherei, „und wenn die Sehnsucht nach dem Meer übermächtig wird und sie sich ihr verstecktes Fell wieder überstreifen, kehren sie für immer in ihrer wahren Gestalt in ihre wahre Heimat zurück – als Seehund.“
Für immer.
Diese beiden Worte genügten, und Aidan fragte sich, was ihn davon abhielt, ihr wo auch immer vergrabenes Fell zu mopsen und zu verbrennen – dann konnte sich Jo nicht mehr zurückverwandeln und würde für immer bei ihm bleiben.
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261 Wörter für einen Ausflug in die Welt der Sagen und Mythen, passend zum Oktober.
Hab ich da nicht mal so einen Film gesehen…. mit einem Seehund-Selkie? Erinnert mich voll dran.
Da gibt es so einige. Die Melodie des Meeres. Oder ein spielfilm mit Colin Farrell: Ondine das Mädchen aus dem Meer. Aber du meinst bestimmt einen anderen…
Er läßt ihr die freie Entscheidung: toll!
Noch ist es ein Gedanke…
Liebe Ulrike,
danke dir – eine schöne Geschichte.
Gibt es nicht auch ein Märchen – irgendwas mit „Haut“ ist mir da im Kopf, aber es handelt sich nicht um einen Seehund – meine ich wenigstens.
Ich konnte die Sehnsucht seufzen hören.
Liebe Grüße
Judith
Schön in Szene gesetzt. Gut gemacht.
Ja, ich glaube Undine hieß der Film.
Ich liebe so Mytgen, aber im Alltag scheinen sie doch sehr unpraktisch zu sein. Wäre die Frage, ob sie selbsr Angst davor hat, sich nicht mehr zurückverwandeln zu können.
Ich denke, davor hätten sie große Angst.
Was ich mich gerade frage… warum machen Selkies das?
das wäre eine Untersuchung wert.
Gestaltwandler kommen in vielen Mythen und Sagen vor, ich hab gerade mal geschaut, die englische Wikipedia ist da sehr viel detaillierter als die deutsche, welch Wunder, Selkies kommen von dort (rund um Großbritannien).
Schöne Geschichte, die du da entwirfst. Mögen sie beide standhaft bleiben: Sie, dass sie bei ihm bleibt, er, dass er die Angst erträgt, sie zu verlieren …
Vielen Dank! ❤
Vormittagskaffeegruß … 😀
Sie gibt es sogar bei Selma Lagerlöf in ihrem nobelpreisgekrönten Werk über die Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen.
Mir gefällt die Vorstellung irgendwie, dazusitzen, dem Meer und dem Vollmond zugewandt… . Muss man dazu ein Selkie sein…? Eine schöne Geschichte!
man muss es nicht, aber ich fand das Thema passend
Da sitzen und auf das Meer schauen. Sind wir nicht alle Selkies und wollen wir nicht alle zurück ins Meer.
Vielen Dank für die Geschichte.
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