Jubiläums-Edititon – der Etüden-Spin-Off : vierter Akt, 3/3

Das wird heute ein langer Spaziergang, denn bevor ich zum dritten Teil des vierten Akts komme, halte ich es für sinnvoll, mit einem „Was bisher geschah“ zu beginnen, um alles auf einen Blick zu haben und nicht mühsam Stück für Stück zusammensuchen zu müssen. Also dann… Was bisher geschah:

Erster Akt – Eine unerwartete Reise: Der hauptsächlich in hoffnungslosen Fällen ermittelnde Schrödinger wird in Zwangsurlaub geschickt und reist an die Ostsee. +++ Zweiter Akt 1/2 – Bali sehen und sterben: Schrödinger meldet sich bei einer Sternenwanderung an. +++ Zweiter Akt 2/2 – Bali sehen und sterben: Er erfährt, dass der Mann der Caféhausbesitzerin an einem Herzinfarkt gestorben ist, und dann wird bei der Sternenwanderung ein weiterer Toter gefunden. +++ Dritter Akt 1/2 – Geschlossene Gesellschaft: Kommissarin Maren Fuchs, bisher nur für eher leichte Delikte zuständig, wird zur Unterstützung der Ermittlungen abkommandiert. +++ Dritter Akt 2/2 – Geschlossene Gesellschaft: Maren Fuchs verhört Schrödinger und Giulia Millefiore. +++ Vierter Akt 1/3 – Der Engel, der ein Teufel war: Schrödinger und Giulia beschließen, auf eigene Faust im Stil von Miss Marple und Mr. Stringer Detektiv zu spielen. Derweil erregen seltsame Himmelsphänomene das Aufsehen der Medien. +++ Vierter Akt 2/3 – Der Engel, der ein Teufel war: Beim Trauercafé kommt Giulia Millefiore hinter eine Ungereimtheit. Mit Folgen.

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Auf Eis gelegt – vierter Akt : Der Engel, der ein Teufel war (Teil 3)

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Erpressung also. Kein Wunder, dass Erwin Kind im Keller zusammengebrochen war und sich so aufgeregt hatte, dass er an einem Herzinfarkt gestorben war. Gestresst fuhr sich Maren Fuchs durch die Haare und haderte mit sich. Nicht nur, dass sie seit neuestem ständig eine WhatsApp-Nachricht nach der anderem von ihrem aufdringlichen Verehrer, der den Schuss nicht gehört zu haben schien, bekam. Jetzt standen auch noch ihre beruflichen Fähigkeiten auf dem Prüfstand.

Wie hatte sie nur dieses wichtige Beweismittel übersehen können? Zur Strafe für diesen unverzeihlichen Fehler sollte sie nun bei der NABU-Baracke Wache schieben und den Tatort erneut unter die Lupe nehmen. Ein windiger Strand mitten im Dezember, na prost Mahlzeit. Nicht einmal eine Thermoskanne mit extrastarkem Kaffee und die Tüte voller frisch gebackener Franzbrötchen konnten sie aufheitern.

Such‘ nach Beweisen, wenn die Tat schon länger zurückliegt und finde den Fehler!

Gegen diese sinnlose Strafarbeit war das unvermeidliche Krippenspiel doch geradezu eine verlockende Alternative. Mit Reichtümern war die kleine Gemeinde nicht gerade gesegnet, doch da bekanntlich Kinder- und Jugendgruppen meistens bei der Güterverteilung als Letztes an die Reihe kamen, machte der Gemeindenachwuchs das fehlende Material durch Ideenreichtum wieder wett: Vom Froschkönig war noch die goldene Kugel übrig? Die ließ sich doch bestimmt noch einmal verwenden! Ja, als Gabe der Könige an das Kind in der Krippe.

„Eure Armut kotzt mich an“, hatte daraufhin der Chef im kleinen Kreis geunkt und prompt am Sonntag darauf eine Spende als Buße für seine lästerlichen Worte in den Opferstock getan. Musste ja keiner wissen, woher der unverhoffte Geldsegen kam.

Das Gleiche hätte Maren Fuchs am liebsten über das Objekt ihrer Observierung gesagt. Seit vor ein paar Monaten der Blitz in die Kate am Strand eingeschlagen und das Gebäude bis auf die Grundmauern abgebrannt war, hatte man die Ruine notdürftig repariert, aber damit war’s das auch schon gewesen. Zugvögel zu beobachten, war unter diesen Umständen kein Spaß, auch nicht für den hartgesottensten Naturfreund, und dass ihre Unbehaustheit der örtlichen NABU-Gruppe gewaltig gegen den Strich ging, konnte Maren nur zu gut verstehen.

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Wie zu erwarten, war der Ausflug komplett für die Füße gewesen. Dementsprechend gelaunt, kehrte Maren durchgefroren am Ende ihrer Schicht zur Polizeiwache zurück, wo ein mehr als aufgeräumter Feddersen vor der Tür stand und genüsslich an einer Zigarette zog.

„Da kommt ja unser Ratefuchs!“

Wenn es eins gab, das Maren auf die Palme brachte, dann waren es solche missglückten Wortspiele. Ratefuchs, pah! Wurde sie diesen dämlichen Namen denn nie los? Erst Miguel mit seinem kreuzdämlichen Kosenamen, und jetzt auch noch der Feddersen.

Drei Tage war der Frosch so krank, jetzt raucht er wieder, gottseidank. Schön, dass wir so schnell genesen sind, spottete sie in Gedanken, aber Hauptsache, wir können unsere Einsatzbereitschaft beim Nowitzki beweisen und zeigen, was für einen tollen Job wir machen.

„Ratefuchs. Ha ha. Mach nur so weiter, und ich zeig Dir den Schweigefuchs!“

Obwohl sie sich kaum vorstellen konnte, dass Feddersen wusste, was es mit dieser Geste auf sich hatte, verkniff sich dieser doch tatsächlich weitere ähnlich gelagerte Kommentare. Jetzt, wo er wieder einsatzfähig war und Nowitzki ihrer Hilfe nicht mehr bedurfte, war sie einerseits froh, von dem Fall entbunden zu sein; andererseits hätte sie zu gerne gewusst, warum Feddersen so zufrieden grinste.

„Na gut, weil Du’s bist“, schlug er einen versöhnlichen Tonfall an, „dann will ich Dich mal nicht länger auf die Folter spannen.“

Nowitzkis Team war tatsächlich weitergekommen, nachdem sich herausgestellt hatte, wie der angekokelte Rest des Briefs an einem Ort gelandet war, an den er nicht gehörte. Wetten, dass Erna von dem Brief keine Ahnung gehabt hatte? Und selbst wenn: So raffiniert, den Wisch vor aller Augen zu verstecken, wäre selbst sie nicht gewesen, nicht in ihrer Trauer. Die Lösung lag woanders, und sie hatten nicht lange suchen müssen. Unterschlagung von Beweismitteln? Unter tränenreichen Beteuerungen, von nichts eine Ahnung gehabt zu haben, war Betty beim Verhör schließlich eingeknickt und hatte ein Geständnis abgelegt.

Betty! Natürlich. Dass die junge Frau mit den blaugefärbten Haaren in manchen Dingen nicht die Hellste war, wusste in Bali jeder. Doch dass sie so weit gehen und in ihrer Dämlichkeit auf der Suche nach einem geeigneten Stück Papier ausgerechnet ein wichtiges Beweisstück aus dem mit Ascheresten gefüllten Papierkorb in Erwins Büro herausfischen und als Mitteilung an die Kunden der Buddelkiste zweckentfremden würde, darauf wäre sie im Traum nicht gekommen. Trotz mancher Defizite konnte Betty jedoch sehr gut rechnen, und als sie Giulias hin und her wandernden Blicken gefolgt und am Blatt an der Tür hängengeblieben war, hatte sie eins und eins zusammengezählt.

Dumm nur, dass sie sich von Schrödinger hatte ablenken lassen… Und nun? So wenig, wie Erna von der Existenz des Briefs gewusst hatte, so wenig war ihr auch bekannt, ob ihr verblichener Gatte Feinde gehabt hatte. Aber eine Sache hatte sie mit Bestimmtheit gewusst: Die hingeschluderte Handschrift kam ihr bekannt vor. Garantiert hatte sie diese schon einmal gesehen.

„Tja, liebe Kollegin, so sieht’s aus: Da sitzt sie nun und stöhnt verzweifelt vor sich hin. ‚Ach, wenn ich mich doch nur erinnern könnte‘… Sie war direkt dankbar, als ich ihr sagte, dass wir uns darum kümmern würden“, beendete Feddersen seinen Monolog. Maren schwante übles. Sich darum zu kümmern, das konnte nur eines bedeuten; dazu musste sie kein Ratefuchs sein.

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Das Geschmiere schon einmal gesehen… Jetzt saß sie hier bereits seit Stunden und wühlte sich durch eine Rechnung nach der anderen, die meisten davon am Rechner geschrieben. Unterschriften auf Quittungen konnte Erna wohl kaum gemeint haben, aber vielleicht eine der Trauerkarten? Konnte der Erpresser wirklich so dreist sein? Inzwischen traute Maren ihm auch das zu. Oder vielleicht war es jemand von der altmodischen Sorte, der seine Geschäftsbriefe noch von Hand schrieb, weil er mit moderner Bürotechnik nicht zurecht kam? Hm, mal überlegen…

Der lauwarme Kaffee, den ihr Erna zubereitet hatte, half ihr auch nicht auf die Sprünge. Heiß ging anders. Aber was für eine Chance hatte man, wenn die Gastherme nicht richtig funktionierte. In diesem Moment machte es bei Erna Klick, und sie ließ mit versteinerter Miene den Kaffeelöffel fallen. Natürlich! Heizungs- und Wassertechnik Gabriel. Wie der Herr, so das Gescherr!

Der alte Gabriel, der immer noch schaltete und waltete wie zu Kaisers Zeiten. Seinen Betrieb hatte er schon lange an seinen Sohn abgegeben, doch der führte das Geschäft genauso dinosaurierhaft wie Gabriel senior. Im Dorfkrug spotteten sie, dass die beiden einander zusehends ähnlicher wurden und man mittlerweile nicht mal mehr an der Handschrift erkennen konnte, wer von den beiden sich um die Geschäftspost kümmerte.

„Ladet die beiden Vögel vor und bringt sie zum Singen!“ hatte die knappe Anweisung Nowitzkis gelautet, als Maren ihn auf den neuesten Stand ihrer Durchsuchung brachte.

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„Das ist definitiv das letzte Mal gewesen, dass sich jemand von außen eingemischt hat“, fasste Maren Fuchs die Lage für alle Anwesenden zusammen. „Haben wir uns verstanden?“

Betreten zog Schrödinger den Kopf ein, während Giulia dreinschaute, als ob sie sich keiner Schuld bewusst war. Dabei war der Fall noch lange nicht gelöst; fest stand lediglich, wer den vermaledeiten Brief geschrieben hatte und warum. Noch einmal wiederholte die Fuchs ihre Ermahnung, diesmal mit ein wenig mehr Nachdruck, in der Hoffnung, dass mit privaten Detektivspielchen nun endlich Schluss war.

Nachdenklich trat Schrödinger den Heimweg an. Nicht mehr gebraucht zu werden, nachdem seine und Giulias Scharade für etwas Abwechslung und Aufregung gesorgt hatte, fühlte sich sonderbar an. Nun wie auf Knopfdruck wieder in den Erholungsmodus umzuschalten, war leichter gesagt als getan, doch der Chef würde für diese sperrige Wahrheit kaum Verständnis zeigen. Schrödinger konnte nun mal nicht so leicht aus seiner Haut.

Die ganze Situation war seltsam, so seltsam wie die ungewöhnlich laue Abendluft unter einem irisierenden Himmel. Sein Licht verlieh den fahl beleuchteten Fassaden der Friesenhäusern einen beinahe schon apokalyptischen Anstrich und verlängerte die Schatten der kahlen Bäume auf dem Dorfplatz ins Unnatürliche. Wind kam auf und brachte die Tentakel zum Schwingen. Und inmitten der Abbilder wogender Äste bewegten sich Schwingen, kaum wahrnehmbar für ungeübte Augen. Die Flügel eines Engels… eines Engels aus Stein.

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1318 Wörter – untergebracht habe ich diesmal die folgenden Wörter aus den letzten fünf Etüdenjahren darin untergebracht:

2019: Froschkönig, Unbehaustheit, Armut. +++ 2020: Zugvogel. +++ 2021: backen, sperrig.

Was es mit dem Schweigefuchs auf sich hat, wird in dem Krimi „Achtsam morden“ von Karsten Dusse auf Seite 330 erklärt: „Wer den Schweigefuchs gezeigt bekommt, muss das Maul halten“, erklärte Stanislav und zeigte Walter, wie der Schweigefuchs ging: Mittel- und Ringfinger auf den Daumen, Zeige- und kleiner Finger als „Ohren“ gespitzt. Vier Schweigefüchse zeigten daraufhin auf Toni.“

Fortsetzung folgt.

5 Kommentare zu “Jubiläums-Edititon – der Etüden-Spin-Off : vierter Akt, 3/3

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