ABC-Etüden 2022 – Wochen 44 & 45 – Etüde 1 – Letzte Reise

Neues Spiel, neues Glück. Nachdem mir bei der letzten Etüdenrunde vor lauter Stress nicht viel eingefallen ist, versuche ich es bei der aktuellen (hier, bei Christiane). Die Wörter Schildkröte, großzügig und flehen hat diesmal Fundevogelnest gespendet.

An dieser Stelle vorab eine Triggerwarnung (Tod/Begräbnis): Wer sich mit einem Gang über den Friedhof nicht befassen oder einen Text über den Tod lesen möchte, ist mit dem Auslassen der Etüde womöglich besser beraten.

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Letzte Reise

Es gibt Tage, da wäre ich am liebsten eine Schildkröte. Man hält sie für behäbig, und doch doch kann sie ungeahnt beschleunigen, wenn’s drauf ankommt. Und sie kann sich, wenn ihr alles zuviel wird, in ihren Panzer zurückziehen. Das hätte ich gestern gerne gehabt. Denn an diesem Tag feiern zwar zwei Menschen, die bei meiner Hochzeit Trauzeugen waren, ihren Geburtstag, doch es ist auch der Todestag meines Vaters. Und letzterer ist nun schon dreißig Jahre her.

Dass mich das so mitnehmen würde, hatte ich allerdings nicht geahnt, als ich großzügig zwei Karten für die Übertragung des Coldplay-Konzerts aus Buenos Aires kaufte – für diesen Abend.

Letztendlich war es aber nicht der Gang zum Grab meiner Eltern, sondern die Tatsache, dass das Gräberfeld, auf dem meine Oma 1993 bestattet worden ist, nun endgültig geräumt und ihre „letzte Ruhestätte“ demnächst verschwunden sein wird. Vermutlich werden sie auch nicht damit warten, bis ihr Geburtstag nächsten Donnerstag verstrichen ist, da kann ich innerlich so viel flehen wie ich will.

Verlängert wird ihr Platz nicht werden, davon überzeugte mich meine Tante, das letzte noch lebende ihrer Kinder, denn auch ihr fällt der Gang ans Grab mit ihrem Rollator immer schwerer.

In dieser Hinsicht ist der Zug wohl endgültig abgefahren, und so bleibt als Erinnerung nichts als ein letztes Foto zum Abschied. Ruhe sanft auf deiner nun wirklich letzten Reise.

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Der 22. Januar – ein wahrhaft denkwürdiger Tag

Mit diesem Foto beschließe ich meine erste Etüde der aktuellen Runde, bestehend aus 222 Wörtern.

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8 Kommentare zu “ABC-Etüden 2022 – Wochen 44 & 45 – Etüde 1 – Letzte Reise

  1. Das sind gerade diese Tage, und ein bisschen auch die Jahre, in denen einem solches näher rückt, als man es früher für möglich gehalten hätte. Auf einmal ist man nicht mehr einer, der bloss mitgeht, wenn sich jemand anderes kümmert, sonder derjenige, der entscheiden muss, oder schlimmer, sich damit bescheiden muss, dass Verwaltungsumstände etwas als unveränderlich Dahingegangenes, aber irgendwie noch vorhanden Gewähntes endgültig in Erinnerung verwandeln. Solche Gedanken kenne ich auch.

  2. Ich bin so froh, dass mir Orte, sprich Gräber, nicht so wichtig sind. Trotzdem wüsste ich manchmal gerne, ob „meine“ Gräber noch da sind, die Gemeinde scheint sie erst abzuräumen, wenn der Platz gebraucht wird, nachdem die Liegezeit abgelaufen ist …
    Liebe Grüße 🌅🍁☕🍪🍂👍

  3. Ja, es ist nicht einfach ein Grab aufzugeben. Selbst wenn einem Orte nicht so wichtig sind, sträubt sich etwas dagegen. Dennoch es ist wichtig, dass alle Personen in einer bestimmten Art und Weise in Erinnerung bleiben. Und das werden sie. Jeder hinterlässt Spuren, auch wenn er allein gelebt hat.
    Liebe Grüße Monika

  4. Ja, es ist ein Abschied nach dem Abschied. Von unserer Familie gibt es ein Familiengrab, wo schon vor über hundert Jahren welche bestattet wurden, aber nun wird es verschwinden, denn niemand in der Familie kann die unglaublich hohen Gebühren zahlen und deshalb ist auch seit vielen Jahren niemand mehr dort begraben worden. Ein bisschen fühlt es sich an wie Verrat.

  5. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 46.47.22 | Wortspende von blaupause7 | Irgendwas ist immer

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