Kapitel 7 *** Lilly – Don’t worry Darling
A clouded dream on an earthly night
Hangs upon the crescent moon
A voiceless song in an ageless light
Sings at the coming dawn
-Loreena McKennitt „The Mystic’s Dream“-
Kommt, wir finden einen Schatz!
Ja, sind wir denn bei Janoschs Traumstunde? Kinderbücher sind ja so wichtig. Bla bla bla. Aber jetzt mal im Ernst: Schatzsuche, wie sich das anhört! Flo kennt meine Meinung dazu. Aber was er nicht weiß: Dass ich mich bei dem Thema gesperrt habe, weil ich so kurz vor der Geburt unnötige Aufregung und Anstrengung nicht gebrauchen kann, war nur die halbe Wahrheit. Erstens war das „so kurz vor der Geburt“ leicht übertrieben, denn bis dahin sind es noch fast zwei Monate, und zweitens kann ich mir nichts langweiligeres vorstellen als das, was Flo mit Marcus und seinen Freunden immer an den Wochenenden veranstaltet hat, wenn sie mit ihren Skateboards gerade mal nicht die Halfpipe unsicher gemacht haben.
Weil Geocaching ja auch so viel ungefährlicher ist. Erst latschen sie stundenlang durch den Wald wie wir gestern nach unserer Panne, dann fangen sie an, irgendeinen wertlosen Müll zu suchen – aber wehe, sie geraten an welche, die in derselben Gegend nach dem gleichen „Schatz“ suchen. Einmal hat so ein Trupp Marcus und Flo doch glatt Prügel angedroht und die beiden in die Flucht geschlagen. Ab da war Ruhe im Karton. Denn als werdender Vater, was übrigens so auch nicht geplant war, wollte er wegen nichts dann doch keinen Aufenthalt im Krankenhaus oder noch schlimmeres riskieren, und das Thema war gegessen.
Jedenfalls bis jetzt, denn bei den Stichworten „Mondstein“, „uralt“ und „besonderer Schliff“ war die die alte Leidenschaft sofort wieder da und sein Hang, mich von vorne bis hinten zu betüddeln, zum Glück für einen Moment vergessen. Wie seine Augen geleuchtet haben… oder waren es die Pfundzeichen darin, die ihn seinem Traum ein Stück näher bringen könnten? Damit war er nicht der einzige, und so trabten wir los, nachdem der Bulli wieder fahrtüchtig war und wir wieder da hin zurückgefahren waren, wo unsere Fahrt unterbrochen worden war.
Flo und seine Fürsorglichkeit in allen Ehren, aber mit seinem ständigen „Mach dir keine Sorgen, Schatz“ treibt er mich noch in den Wahnsinn. Manchmal wünschte ich, er wäre ganz woanders. Wenigstens ab und zu. Da ist er mir im Jagdfieber tausendmal lieber. Nur an seinem Orientierungssinn sollte er noch arbeiten, denn ohne GPS-Tracker ist er nämlich so gut wie aufgeschmissen. Ganz schön blöd, wenn die Technik im entsprechenden Moment versagt. Wie beruhigend, dass wir Feli mit ihrem fotografischen Gedächtnis dabei haben – die hätte den Weg zur Burg blind gefunden, auch ohne ihre tolle Kamera.
Apropos „Schutz und Sicherheit im Zeichen der Burg“ – als ich meine Ausbildung bei der Versicherung erst wegen Corona und zum Schluss auch noch wegen Mutterschutz für länger unterbrechen musste, hätte ich nicht gedacht, dass ich irgendwann selbst in einer landen würde. Besser gesagt, in einer Ruine mit eingefallenem Turm und Wänden, von denen eigentlich nur noch Steinhaufen übrig sind – manche davon mannshoch – und einem moosüberwucherten Brunnenrand. Wäre es nicht mitten am Tag gewesen und dazu strahlender Sonnenschein, hätte ich erwartet, die gruselige Figur aus „The Ring“ herauskrabbeln zu sehen.
Herausgekrabbelt kam jedoch nichts – statt dessen hatte Flos Taschenlampe einen Lichtreflex ausgelöst, und weil alle davon überzeugt waren, das Gesprächsthema Nummer Eins seit diesem vermaledeiten Clubbesuch endlich gefunden zu haben, fing die große Diskussion an, wer in den Brunnenschacht hineinkrabbeln sollte.
Jo, der Tag für Tag an sein Brüderchen Bericht über den Verlauf unserer Reise erstattet? Oder lieber Ellie, die als kleinste von uns am wenigsten im Schacht steckenbleiben würde? Oder Finn, unsere Sportskanone? Nö, lasst doch einfach das Los entscheiden: Stein, Schere, Papier – aber ohne das böse Obi-Hörnchen – and the lucky winner is…
„Mensch, Finn – wird das heute noch was?“ hatte Ellies leicht gereizter Sopran durch die Ruine geschallt. Dass die Wände an dieser Stelle auch so hallen müssen!
Doch außer Schaben und Kratzen und dem ein oder anderen Schnaufer unseres Supersportlers war verdächtig wenig zu hören gewesen. Den besserwisserischen Ratschlag von Fiona, die halb über dem Brunnenrand hing, dass wir doch besser alle mal tief durchatmen sollten, überhörte ich lieber. Ich war auch so aufgeregt genug. Inzwischen hatte mich Flo mit seiner Vorfreude auf den Fund angesteckt, und so fieberte ich jetzt auch mit der Mehrheit mit. Hoffentlich filterte Flo Ellies Gezeter weg. Auch wenn sie mit ihrem Genörgel bei mir einen Nerv traf, was die Dauer der Zeit anging, in der Finn nun schon in diesem Brunnen unterwegs war, so wollte ich mir lieber nicht vorstellen, was passieren würde, wenn Flo die Konzentration verlor und das Seil losließ.
Mein Gott, wie tief war denn dieser Brunnen? Reichte das Seil überhaupt? Wie lange war Finn jetzt schon da drin? Nur gut, dass wir bald Mittsommer hatten und es an diesem Nachmittag noch lange hell war, sonst hätte es für uns und ganz besonders für Finn zappenduster ausgesehen. Auch wenn er eine Lampe dabei hatte, im Sommer bei völliger Dunkelheit am Grund eines Brunnens nach einem Stein zu suchen, war für ihn bestimmt alles andere als angenehm.
Ich hätte an seiner Stelle schon längst einen Anfall bekommen. Aber um mich ging es zur Abwechslung zum Glück mal nicht, sondern um Flo und Fiona, die das Seil sicher hielten – und natürlich um Finn, der nach einer gefühlten Ewigkeit doch noch fündig geworden war und sich völlig erschöpft auf den mit vertrocknetem Eichenlaub übersäten Boden neben dem Brunnen fallen ließ, als sie ihn schließlich über den Rand zogen.
Und nun stehen wir dicht zusammengedrängt und starren fasziniert den Stein an, der da vor uns auf dem Boden liegt, nachdem er aus Finns Hand gerollt ist, während der noch immer versucht, zu Atem zu kommen. Weißlich im Sonnenlicht schimmernd, wirkte er wie nicht von dieser Welt und überirdisch schön. Wer auch immer ihn geschliffen und Runen in ihn eingraviert hat, muss ein wahrer Meister gewesen sein.
Was dieses Juwel wohl wert sein mag? In einem Punkt hatte Finn wohl recht: Wir müssen erst mal jemanden finden, der uns dieses schöne Stück abkaufen will. Doch bis dahin kann es noch dauern, und es hat wenig Sinn, wenn wir uns jetzt schon über die Aufteilung des Gewinns die Köpfe zerbrechen und von dem wir nicht mal wissen, wie hoch der sein wird.
Jetzt müssen wir erst mal weg von hier, und zwar so schnell wie möglich.
Leichter gesagt als getan, wenn Finn am Ende seiner Kräfte und mir mein Bauch im Weg ist. Außerdem bin ich dadurch auch nicht gerade die Schnellste, und die Meute trampelt wie eine Herde Elefanten durch die Ruine, dass es nur so knirscht. Ach, wären wir doch bloß etwas leiser! Denn dann hätten wir noch rechtzeitig mitbekommen, dass wir nicht mehr alleine sind.
So ein Mist.
Jo, der gerade unter dem eingestürzten Bogen hindurch laufen will, durch den wir gekommen waren, bleibt wie angewurzelt stehen und gibt uns wortlos ein Zeichen, jetzt bloß keine falsche Bewegung zu machen oder auch nur den geringsten Laut von uns zu geben. Ich weiß genau, was in ihm vorgeht.
Duckt euch!
Gerade noch rechtzeitig, denn als ich zu Jo rüber sehe, nehme ich wahr, wie er tonlos mit den Lippen ein „Jeff“ formt. Wer auch sonst? Der Kerl ist zwar bis über die Ohren maskiert, aber das Schlangentattoo ist unverkennbar. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn hier noch ein zweiter Typ mit demselben Tattoo von dem Schatz wüsste und sich hier herumtreiben würde. Und dieser Vogel ist nicht allein. Das muss dieser Connor sein, von dem Jo und Ellie erzählt haben. Beide komplett in schwarz, und beide sind bewaffnet. Selbst der Dümmste kann sehen, dass das keine Polizisten sind, denn die hätten sich ihre Pistolen nicht hinten in den Hosenbund geklemmt.
Uns bleibt nur noch eines: Zu hoffen, dass von diesen Gangstern keiner mehr nachkommt, und zu beten, dass wir an den Typen unbemerkt vorbeikommen.
Die Frage ist nur, ob wir nicht schon zu lange gewartet haben, als wir uns einer nach dem anderen und mucksmäuschenstill immer weiter ins wild um die Mauern herum wachsende Dickicht zurückziehen, um uns ihrem Blickwinkel zu entziehen, sollte doch einer von ihnen auf die Idee kommen, sich umzudrehen.
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Die Vorlage zum 7. Kapitel: Gruppe will gehen, entdecken dann aber Gruppe komischer schwarz angezogener Personen mit Sonnenbrillen und Waffen (der besoffene Typ dabei), Gruppe schleicht sich an den Leuten vorbei aus der Burg.