Wegen des fünften Sonntags im Januar ist es mal wieder Zeit für eine Extra-Etüde – eine Spezialität auf Christianes Blog, denn im Gegensatz zu den Fingerübungen mit 300 Wörtern dürfen wir nun fünf der sechs bisherigen Wörter in einen Text von maximal 500 Wörtern einbauen. Diesmal lauten sie: Zetermordio – weichmütig – backen und Lautsprecher – orange – erschüttern.
Die ersten drei Wörter kamen in den Wochen 1 & 2 von Ludwig Zeidler, die letzten drei in den Wochen 3 & 4 von mir. Trotz des Cliffhangers am Schluss meiner letzten Etüde muss die Fortsetzung noch etwas warten. Denn diese steht unter dem Motto „writing is therapy“ (Schreiben ist Therapie).
Aus diesem Grund schicke ich meiner Extra-Etüde eine Triggerwarnung voran, denn sie dient der Verarbeitung eines sehr persönlichen Erlebnisses, mit dem ich von Zeit zu Zeit immer mal wieder konfrontiert werde. Es hört wohl nie auf. Deshalb empfehle ich denen, die mit Texten über Trauer, Trauerbewältigung und depressiver Stimmung nur schwer oder gar nicht umgehen können, diese Etüde mit 433 Wörtern auszulassen. Nicht umsonst habe ich für sie genau jene Überschrift gewählt.
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Der Trigger
Enjoy the Silence! Dröhnende Bässe und das Stakkato der Beats von Depeche Mode aus meinen Kopfhörern übertönen die Stimme unserer Reiseleiterin aus dem Bordlautsprecher, nicht aber das Zetermordio in meinem Inneren. Allerdings mehr Zeter als Mordio.
„Ersetzen Sie den Schmerz durch einen anderen…“ – wirklich? Ich glaube, das Rezept gegen meine gegen persönlichen Tiefs muss erst noch gebacken werden. Auf Verdrängung zu setzen, mag zwar für eine gewisse Zeit funktionieren, aber lieber betäube ich mich mich mit lauter Musik, obwohl… Wem mache ich hier eigentlich etwas vor? Warum hilft mir die Ablenkung heute nicht? Am Morgen war zwar auch nicht alles eitel Sonnenschein, aber wenn ich geahnt hätte, was am Nachmittag auf mich zukommen würde, hätte ich mich anders entschieden.
Mit Verzögerung kehrt dieses eine Bild zurück, legt sich wie eine durchsichtige Folie auf den Regenbogen vor mir, der seine rote und orange Krümmung bereits verloren hat und allmählich verblasst, bis alles grau ist. Passend zu meiner Stimmung. Dabei hatte das Jahr doch so gut angefangen. Pläne hatte ich geschmiedet, eine unvergessliche Reise hatte ich machen wollen, einen Traum wahrmachen. Wie hätte ich da auch ahnen können, dass es mich Tausende von Kilometern von daheim entfernt, jenseits des Atlantiks, einholen würde. Im August. Auf einem Schiff.
Wale auf dem Sankt-Lorenz-Strom zu beobachten, klang für mich verlockender, als die Altstadt von Québec auf eigene Faust unsicher zu machen, doch dann durchfährt es mich beim Ablegen eiskalt: Schottland 2008. Ich sehe mich und Andy wieder an Bord eines Motorboots bei einem ähnlichen Ausflug, ebenfalls im August. „Was brauche ich da noch eine Ice-Bucket-Challenge“, bricht es über mich mit der gleichen Wucht herein wie das Gewitter, mit dem keiner von uns gerechnet hat. Als seine ersten Schläge den Himmel über dem offenen Wasser erschüttern, kommt Bewegung in die Menge, doch der Aufruhr an Bord des Schiffs ist nichts im Vergleich zu dem Toben in mir. In diesem Moment bin ich froh über die anonyme Masse, in der ich unbemerkt verschwimme, weil alle anderweitig beschäftigt sind.
Daran ändert sich auch auf der Fahrt zu unserem Hotel nichts. Der ereignisreiche Tagesausflug mit allen Sinneseindrücken hat die meisten aus der Gruppe so erschöpft, dass sie ein Nickerchen machen und sie von dem Schauspiel am Himmel nichts mitbekommen. Ich muss zugeben, dass ich geradezu froh drüber bin, als Single eine Sitzreihe für mich alleine zu haben und dass sich niemand um mich kümmert. In meinem weichmütigen und aufgelösten Zustand angesprochen zu werden, wäre zu viel für mich, denn bei einem bin ich mir sicher: Bleibt latent die Trauer auch bestehen, Phasen kommen und gehen. Sie zuzulassen, ist das Geheimnis.
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Bis zu jenem Tag vor zwei Jahren hätte ich nie gedacht, dass mich ein friedliches und schönes Küstenpanorama so triggern könnte, aber wie gesagt, Phasen kommen und gehen, und die nächste Etüde wird eine andere Richtung einschlagen, auch wenn es schwierig wird, das Maximum nicht auszureizen.