Die zweite Etüdenrunde in diesem Jahr hält eine Überraschung für mich parat: Christiane, bei der die maximal 300 Wörter langen Fingerübungen alle zwei Wochen zu finden sind, hat auch gleich die neuen Wörter gespendet:
Drache *** edel *** häkeln
Und schon habe ich ein Thema gefunden, von dem ich mir wünsche, ich wäre nie darauf gestoßen. Von daher muss die ursprünglich gedachte Etüde noch ein Weilchen warten.
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Wider den Perfektionismus
Gut, dass ich manche Diskussionen nicht mitbekomme oder nicht mitbekommen möchte. Nennt mich ruhig ignorant, aber manchmal gibt es solche Momente, in denen ich mich lieber vornehm zurückhalte, anstatt Öl ins Feuer zu gießen.
Und doch treibt mich nun eine Sache um, bei der ich spüre, wie ich innerlich zum Drachen mutiere, der mit glühendem Atem seine Brut verteidigt: Der Einzug von Robotern in die Kunst. Da ich denke, dass es die Fantasie ist, die uns von ihnen unterscheidet und überhaupt erst menschlich macht, hinterlässt die Richtung, in die die Reise zu gehen droht, ein ungutes Gefühl bei mir.
Aber mal ganz ehrlich: Mag der Reiz, fehlerfreie Texte und makellose Gemälde zu produzieren, noch so groß sein, so fühle ich mich an die Schneekönigin in Hans Christian Andersens gleichnamigem Märchen erinnert. Denn was nützt mir all die Perfektion, wenn keine Seele darin steckt?
Ein technisch einwandfrei gehäkelter Pulli als Geburtstagsgeschenk für mich von meiner besten Freundin? Über einen, bei dem sie sich in der Farbe vergriffen oder kleine Fehler im Maschenbild auftauchen, würde ich mich mehr freuen und das edle Stück in Ehren halten.
Deshalb auch mein Kommentar, den ich in der aktuellen Schreibeinladung hinterlassen habe: Lieber lese ich einen nicht ganz fehlerfreien Text, der von Herzen kommt, als so ein Machwerk, das aus Faulheit und Mangel an Ideen geboren wurde.
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220 Wörter für mein Wettern gegen das Sterben der Fantasie, das ich mit einem schwer zu übersetzenden Zitat von Charles Rennie Mackintosh (7.6.1868 – 10.12.1928, schottischer Architekt, Künstler und Kunsthandwerker) beschließe: There is hope in honest error, none in the icy perfection of the mere stylist. Wenn ich dafür die passenden Worte in Deutsch gefunden habe, lasse ich es euch wissen.
Genauso sehe ich es auch. Die KI-Texte habe übrigens ich beigesteuert, habe sie natürlich als solche gekennzeichnet und zur Diskussion gestellt. Warum? Weil KI sich grad mit grässlichem Tempo einnistet, unbeachtet von den meisten. In Kürze werden uns überall diese glatten Texte begegnen, freilich ohne die Kennzeichnung, dass sie maschinell produziert sind. Und es wird uns eine Gedankenwelt untergejubelt, die in Laboren entstanden ist. Es ist der Weg vom ehrlichen „Brot des Bäckers“ zum Fabrikbrot, in das jetzt auch Mehlwürmer, Heuschrecken und anderes Insektartiges eingebacken werden darf (EU-Beschlussfassung).
Wir hier backen unser Brot noch selber, doch wird uns das retten, wenn wir nicht achtgeben, was sonst so geschieht und sich durchsetzt?
„eine Gedankenwelt untergejubelt“ wird uns in jedem Fall, das lässt sich zur Gänze nicht vermeiden, auch wenn man sich an den Rändern des Info-Dschungels bedienen mag. Denn auch Ränder gehören zum Laib des uns Dargebotenen.
Gerda, Insekten, echt jetzt??? 😦
Ja, Christiane. Und es gibt grad eine heftige Diskussion darum, zumal Nahrungsmittel mit Insektenzusätzen auch in Schulen, Kantinen und Mensen angeboten werden sollen. Außerdem werden riesige Fabriken in den USA und in Indien (wo noch?) für die Züchtung von Insekten zwecks Verzehr hochgezogen. Es handelt sich um Milliarden-Investitionen.
Ich las auch, dass die Kennzeichnungspflicht unzureichend sei. Darauf hat nun die deutsche EU-Vertretung reagiert. https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwiy44nSodv8AhWYgv0HHdWlBrMQFnoECAwQAQ&url=https%3A%2F%2Fgermany.representation.ec.europa.eu%2Fnews%2Finsekten-lebensmitteln-die-fakten-2023-01-19_de&usg=AOvVaw02ueUR68tXNariD3csf2nu
Danke für die Info, Gerda. Insekten als alternative Proteinquelle, ja, das wird kommen, mir war nur nicht klar, wie weit die Diskussion und deren Umsetzung bereits gediehen ist. Klar, dass das kommt, wenn wir mehr als die Hälfte der erzeugten Pflanzen dafür verwenden, um Tiere damit zu füttern …
Ich habe deinen Link übrigens mal von dem Google-Wust befreit, es geht auch kürzer:
https://germany.representation.ec.europa.eu/news/insekten-lebensmitteln-die-fakten-2023-01-19_de
das mag ja alles sein und deine Absichten edel, aber befeuern wir nicht gerade durch das Aufzeigen, wozu eine solche KI fähig ist, genau diese Art von Technik und sorgen damit weiter für eine Verbreitung?
Ich möcht mir gar nicht vorstellen, was z.B. auf Schreibplattformen passiert, wenn solche Bots auch dort nicht nur vermehrt auftreten, sondern auch die Algorithmen derart beeinflussen, dass rechnergenerierte „Werke“ dort mehr Klicks und Votes erhalten als das, was echte Menschen geschrieben haben.
Dann werden mir womöglich dort nur noch solche seelenlosen Massenprodukte vorgeschlagen und echte Autoren gehen völlig unter?
Zum Schluss noch ein Erlebnis, das ich gerade mit einem Bot hatte, als ich im Internet einen Gruß in einem Kondolenzbuch hinterlassen wollte: Gebe ich meinen Vor- und Nachnamen ein, erkennt die Software meinen Beitrag als Spam. Ohne den Nachnamen ist alles fein. Was für ein Gefühl das bei mir hinterlässt, muss ich -glaube ich- nicht weiter ausführen.
Liebe Ulrike, ich denke, wir sind uns vollkommen einig, dass die KI ein Alptraum ist, der auch im letzten Refugium des Menschen (Kinst, Literatur, Musik) einzubrechen und sich auszubreiten droht. Davor die Augen zu schließen, halte ich nicht für das geeignete Mittel, um gegenzusteuern. Wut hilft auch nicht. Aussperren wird nur im kleinen persönlichen Bereich möglich sein – und auch da nicht, wenn man Kinder und Kindeskinder hat, die sich ganz anders einstellen werden. Ich schreibe ja vielleicht noch manchmal einen Gruß mit der Hand – aber selbst die Handschrift wurde ja schon KI-tauglich in alle möglichen Vorgänge integriert.
Also bleibt nur: hinschauen, mit klarem Auge und scharfem Verstand.
Das stimmt! Wozu brauchen wir angebliche Perfektion.
„Wir“ brauchen sie nicht, Gerhard. Aber sind wir der Standard? Wohl kaum. Bewerbungsschreiben kann man immer noch selbst, aber auch schon per KI verfassen. Wer, glaubst du, hat die besseren Chancen?
Übrigens wird KI bereits bei der Vorauswahl von Bewerbungen massiv eingesetzt, da die Personalabteilung keine Lust hat, hunderte von Bewerbungsschreiben zu lesen. Das erzählte mir mein Sohn, der Informatik-Unternehmer ist. Es passierte in einem großen US-Unternehmen, dass man sich wunderte, warum sich keine Frauen und Schwarzen mehr auf Führungspositionen bewarben. Die Software, die sich am IST-Zustand orientiert, hatte sie gar nicht auf dem Schirm. KI kann eben nur das. was eingegeben wurde, in dem Fall die aktuelle Zusammensetzung des Führungspersonals, das ohne Schwarze und Frauen auskam
„da die Personalabteilung keine Lust hat, hunderte von Bewerbungsschreiben zu lesen.“
Ich glaube eher, daß man dieses Prozedere standardisieren möchte. Das hielte dann auch einer externen Prüfung stand.
Der menschl. Faktor wäre dann geringer ( Personalier A lehnt X ab, während Personalier B den X in Betracht ziehen würde).
warum auch immer man das macht – es ist ein Fakt, dass Bewerbungsschreiben maschinell vorsortiert werden. Vermutlich werden auch immer mehr Bewerbungsschreiben maschinell erstellt. Da trifft dann Maschine auf Maschine und beäugt sich. Der Bewerber – wo ist der?
Der wird dann separat „im Finale“ geprüft.
Die Entwicklung zeigt, dass alles was geht, auch genutzt wird, früher oder später. Nun halte ich Literatur/Belletristik für so etwas wie die letzte Bastion, aber was zum Beispiel ist mit Redakteuren/Journalisten unter Zeitdruck (ein Dauerzustand), die damit Zeit sparen? Das alles könnte man noch verstehen, eine gewisse Qualität des Outputs vorausgesetzt, die Crux liegt woanders: KIs greifen auf Datenbanken zurück. Wer füttert die Datenbanken, wer filtert/editiert die Informationen, die sich darin befinden, wer verwaltet das Wissen? Wo sind die Grenzen, wer überwacht sie?
Ich stimme Gerda absolut zu, so sehr, wie ich deine Empörung für gerechtfertigt halte und verstehe.
Mittagskaffeegrüße ☁️😷🛋️☕🍩
Danke, Christiane. Du sagst es.
There is hope in honest error, none in the icy perfection of the mere stylist.
Die Idee eines guten Werks, wenn sie dann in der Ausführung zu spüren ist, ist viel wert, mehr jedenfalls als die Ausführung in einer allzu verkürzten Perfektion, die uns lediglich ein schales Gefühl wird geben können.
so vielleicht…
vielen Dank, das kommt hin – ich glaube, den satz würde jeder für sich anders formulieren, aber in den grundzügen kommt es hin.
Insbesondere bei manchen Kinderbüchern frage ich mich , ob sie nicht schon längst von Bots geschrieben werden, seltsam flach trifft es genau…
Mein Sohn liebt über alles die Hunde der „ Paw Patrol“ , aber das kann man echt nicht vorlesen, ich denke mir die Geschichten mit den Protagonisten inzwischen selbst aus
Meine Mehlwürmer gedeihen im Keller prächtig, ich fütter nur die Hühner damit. Die Jungs haben sie schon in der Pfanne gebraten.
Eine neue Generation.
Muss ja keiner, ich esse auch sonst selten Fleisch, obwohl der Verkauf toter miedest gehaltener Tiere legal ist.
Sich selber Geschichten auszudenken, ist ohnehin viel spannender
Kunst von Robotern ist nicht viel anders als Kunst von Kühen, Pinguinen und wer sonst noch so den Pinsel schwingen durfte. Für mich ist das eher eine Art von Handwerk. Kunst ist für mich etwas das bewegt und anregt. Kunst von einem Roboter kann im besten Fall gefallen, weil sie handwerklich gut gemacht ist,
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