Ich habe eine Wassermelone gegessen, dennn meiner zweiten Urlaubswoche stiegen plötzlich die Temperaturen in ungeahnte Höhen. Plötzlich musste ich an das Lied „36 Grad“ von Zweiraumwohnung denken. Wir hatten zwar „nur“ 35°C, aber gereicht hat’s mir trotzdem: 35 Grad, und es wird noch heißer… da habe ich mich schon gefragt, wie es die kleinen Vögelchen, die noch von ihren Eltern gefüttert und gehudert werden, unter dem Flachdach unseres Ferienhäuschens ausgehalten haben. Nachdem das Gewitter endlich die erhoffte Abkühlung gebracht hatte, konnte ich mit großer Erleichterung das aufgeregte Piepsen hören, wann immer die Eltern mit Futter im Anflug waren oder den Dreck ihres Nachwuchses vom Nest wegbrachten.
Große Hitze macht mir immer sehr zu schaffen. Mit Grausen erinnere ich mich an den vergangenen Sommer, als es ca. 50 oder 60 Grad Celsius unter unserem Dach waren und die jungen Mauersegler aus der Dachluke, unter der sie aufgezogen wurden, herausfielen und von ihren Eltern nicht mehr versorgt wurden. Einen konnten wir retten, der andere hauchte sein junges Leben an einem Sonntag in der schlimmsten Mittagshitze, in der prallen Sonne aus. Wie schön, dass diesmal unseren Vögelchen ein besseres Schicksal beschert worden ist. Während ich schrieb, flogen die Eltern emsig hin und her mit allerlei Kleininsekten. Zu Beginn ihres Nestbaus hatten sie sich sogar einen All-Inclusive-Platz ausgesucht, da direkt daneben Wespen die ausgesprochen dumme Idee hatten, sich ebenfalls eine Wohnstatt zu errichten, die letztendlich aber von den cleveren Hausrotschwänzen als Futterspeicher betrachtet und fachgerecht zerlegt wurde. Den Spezialisten vom NaBu konnten wir uns also dieses Jahr sparen, da die Vögel diesen Job verrichteten.
Was die übrigen Kleininsekten angeht, hinter denen sind auch die Fledermäuse her, die mir bei meinen abendlichen Spaziergängen vor der Nase herumflatterten. Bei diesen Spaziergängen, die selten vor 22 Uhr begannen, hatte ich so einige Momente, die für immer in meiner Erinnerung verankert bleiben werden: unbezahlbar das Froschkonzert, das genau dann einsetzte, als mich ein Hustenreiz plagte (anscheinend brauchten die Frösche genau das als Startsignal); der tieforange über dem Horizont hängende, gerade aufgegangene Vollmond; die beiden Schleiereulen, die lautlos über meinen Kopf dahinsegelten; der kleine Igel, der flink im Gebüsch verschwand; und nicht zuletzt Myriaden von Glühwürmchen, die sich im Schilf immer höher gen Himmel schrauben und einander umtanzen. Aber zu dieser Glühwürmchenparty musste ich noch nicht einmal weit laufen.
Nein, wenn ich mich auf unsere Hollywoodschaukel setzte, mich nicht bewegte und ganz still war, dann zogen sie dicht an mir vorbei, und es konnte vorkommen, dass sich eines von ihnen sogar auf meiner flachen Hand niederließ. Dies waren die besonderen Momente, die ich hüte wie einen Schatz und für die ich mit niemandem auf dieser Welt tauschen möchte.
Manchmal aber brauche auch ich nicht nur Natur, sondern auch ein wenig Kultur, und so kam es, dass ich mich spontan entschloss, eine Lesung zu besuchen, bei der eine Dame vom Wiesbadener Staatstheater eine verkürzte Fassung der Erzählung „Die Bergwerke zu Falun“ von E.T.A. Hoffmann vortrug. Zunächst war ich ja skeptisch gewesen. Meine Begeisterung für Literatur der Romantik hatte sich nämlich bislang sehr in Grenzen gehalten, und mein Versuch, „Die Elixiere des Teufels“ vom gleichen Schriftsteller zu lesen, scheiterte kläglich, weil ich mit diesem verschachtelt konstruierten Roman herzlich wenig anfangen konnte. Irgendwann legte ich das Buch gelangweilt beiseite und frage mich, woran dieses Fiasko wohl gelegen haben konnte.
Dennoch wollte ich E.T.A. Hoffmann noch eine Chance geben. Ich sollte meine Entscheidung für die einstündige Veranstaltung nicht bereuen, denn die Dame las mit so einer Inbrunst, dass mir die Geschichte von dem plötzlich verwaisten Seemann Elis Fröbom, der sein Glück beim Bergbau in Falun sucht und dort innerlich zerrissen wird zwischen der Liebe zu der Tochter seines Brotherrn und seiner Leidenschaft für das Graben nach Erzen und Gestein in den tiefsten Tiefen, so sehr unter die Haut ging, dass mir die Tränen kamen. So ist das immer, wenn mir etwas zu Herzen geht, und ich dankte am Schluß noch einmal persönlich der Dame vom Wiesbadener Staatstheater für ihre ergreifende Lesung. Anschließend ergriff ich die Gelegenheit, mir das ungekürzte Werk zu kaufen und verstand das Gehörte nun noch besser. Vielleicht sollte ich es noch einmal mit den Elixieren versuchen, denn ich glaube, ich habe eine leise Ahnung, warum mich das Werk damals nicht gefiel.
Heute bin ich mir schon fast sicher, dass ein Grund dafür in der Tatsache zu suchen ist, dass das Buch in Frakturschrift gedruckt war – so seltsam das auch klingen mag. Das gleiche Phänomen ist mir begegnet, als ich eine Sammlung mit Geschichten von Robert Louis Stevenson lesen wollte, die ich für einen Spottpreis bei den Händlern für gebrauchte Bücher während der Frankfurter Buchmesse erworben hatte. Zwar ist der Schrifttyp, in dem das Buch gedruckt worden ist, keine ausgesprochene Frakturschrift, dennoch gibt es hier zwei verschiedene „s“: das „s“, wie wir es von unserer Computertastur kennen – und das „s“, das für ungeübte Augen Ähnlichkeit mit einem kleinen „f“ hat. Das Dumme daran ist nur, dass es bei mir nicht die Augen sind, sondern dass ich beim Lesen eine Stimme höre, die sämtliche Wörter mit diesem geschwungenen „s“ zu lispeln scheint.
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Es ist nicht schön, wenn ich beispielsweise eine Passage lese wie „diese neuen Kleider und Equipagen sind alles Geschenke von dem Teufelchen“ und dabei folgendes höre: „Diefe neuen Kleider und Equipagen find alles Gefchenke von dem Teufelchen“… sehr verwirrend und sehr, sehr ermüdend. Mal sehen, ob ich diese Geschichten im Winter noch einmal lese – im Moment stehen andere Bücher auf meiner Leseliste, z.B. „die Chroniken von Deverry“ von Katherine Kerr, oder „Schwestern des Mondes“ von Yasmine Galenorn (vorausgesetzt, die letzten Bände ihrer Romanserie erscheinen in absehbarer Zeit).
Bei den Chroniken habe ich wenigstens alle 15 Bände – die letzten vier davon in Englisch, weil der Verlag, bei dem die ersten elf in deutscher Übersetzung erschienen waren, diese Sparte nicht mehr auflegte und den elften Band gar nicht erst mehr veröffentlichte, obwohl es bereits ein Buchcover und einen deutschen Titel gab. Für mich kein toller Schachzug, aber so kam ich wenigstens wieder mal an die Gelegenheit, meine Englischkenntnisse aufzupolieren bzw. gar nicht erst einrosten zu lassen, auch wenn Texte über Magie, Elfen und Schwertkämpfe nicht unbedingt den Wortschatz aufweisen, den ich jeden Tag und besonders im Berufsleben brauche. Ich weiß nicht, wie oft ich diese ständig zwischen verschiedenen Jahrhunderten hin und her springende Saga über Charaktere, die in immer neuen Reinkarnationen auftauchen, schon gelesen habe; ich schätze, ich fange gerade zum dritten Mal damit von vorne an.
Dabe fällt mir ein, dass ich gelächelt habe, als im Radio über den Film „Der Wolkenatlas“ verkündet wurde, der Handlung könne man nur sehr schwer folgen, weil sie nicht chronologisch erzählt wird, sondern ständig zwischen den Zeiten wechselt. Ach, da hätte dem Herrn, der dies erzählte, doch am liebsten empfohlen, die Chroniken von Deverry zu lesen. Da gibt es nicht nur unterschiedliche Zeiten, sondern auch Passagen, die auf der Astralebene spielen. Aber wer weiß, wozu es gut war, dass ich diesem Wunsch, einen entsprechenden Wink per Telefon an den Sender abzusetzen, damals nicht nachgekommen bin.
Nun bin ich doch weiter abgeschweift, als ich eigentlich vorhatte, und es ist später geworden, als ich dachte. Mittlerweile sind die Temperaturen auf ein erträgliches Maß abgekühlt, und ich kann mich ans Versäubern und Einsetzen des Godets in meinen Rock für den FUSSA 2016 machen, eine Tätigkeit, zu der ich aus verschiedenen Gründen nicht gekommen bin; aber darauf möchte ich an anderer Stelle eingehen.