Rewind the Classics *** Märchen neu erzählt (4)

(zuerst veröffentlicht am 15.01.2023 auf Wattpad)

Kapitel 4 : The apple came down

Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: „Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif.“ Sie antwortete aber: „Du kommst mir recht, es könnte mir einer auf den Kopf fallen,“ und ging damit weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gehört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr.

„… und da habe ich sie aus dem Ofen gezogen“, hallten Maries Worte in mir nach. Worte, mit denen sie beschrieben hatte, wie es panisch aus dem Ofen „zieh mich raus, sonst verbrenn ich“ geschallt hatte: Gebäck in allen Varianten, alles außer Pizza, doch zum Glück war mein Schwesterherz an Ort und Stelle gewesen, um es an der frischen Luft abkühlen zu lassen. Das nenne ich mal perfektes Timing! Zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein, wie schön für sie… aber was hatte ich? Die Arschkarte!

Anstatt das Backwerk zu retten, konnte ich nur noch den Ruß zusammenkratzen. Pluspunkte würde mir das bestimmt nicht einbringen, na schönen Dank auch. Aber wie hätte ich auch wissen können, dass sich der Weg so lange hinziehen würde und ich außerdem gezwungen war, mit Tempos MacGyver zu spielen? Ohne diese Verzögerung hätte ich es bestimmt rechtzeitig geschafft…

Ach, mach dir doch nichts vor! meldete sich meine innere Stimme. Auch ohne das ganze Gedöns hättest du die Pizza verbrennen lassen. Du hättest nämlich wieder dieses Lied im Kopf gehabt und diesen einen verflixten Nachmittag vor dir gesehen.

Ashes to Ashes? Oh bitte nicht, hielt ich in Gedanken dagegen, denn ich wusste ganz genau, worauf diese nervige Stimme anspielte: Den Tag, an dem es bei uns zu Hause eskaliert war.

Dass sich Papa und Muttern stritten, war ja nichts neues, doch ums „liebe Geld“ hatte sich ihre letzte Auseinandersetzung an jenem Tag nicht gedreht, jedenfalls nicht nur darum. Wo bei anderen Paaren unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf das Finanzielle für ausgewachsene Krisen sorgten, hatte Papa etwas ganz anderes umgetrieben.

Während im Ofen die Pizza verführerisch schmurgelte, war Muttern ein „Liebe geht durch den Magen“ entschlüpft, eine gedankenlose Bemerkung von der Sorte, die Papa schon länger gegen den Strich ging. Engstirnigkeit gepaart mit einem begrenzten Maß an Intelligenz und Empathie. Der geistige Horizont ist der Abstand zwischen Hirn und Brett? Ein Umstand, den er anfangs wissentlich ignoriert hatte, denn was tut man nicht alles aus Liebe. Doch mit den Jahren war die Kluft zwischen den beiden immer tiefer geworden. Immer häufiger hatte er bei dem, was sie den lieben langen Tag lang so von sich gab, die Ohren auf Durchzug gestellt, doch irgendwann war das Maß voll. Denn leider hatte ihr Geplapper an jenem Tag darin gegipfelt, dass sich der Mann, der Marie eines Tages zur Frau bekommen würde, glücklich schätzen konnte.

Und alles nur, weil sich mein Schwesterherz beim Backen mal wieder selbst übertroffen hatte, während ich…

Da war Papa der Kragen geplatzt.

„Ja, spinn‘ ich denn?“ war er so aus der Haut gefahren, dass ich vor Schreck die Ofenklappe zufallen ließ und mir die Hand an ihrem heißen Rahmen verbrannte.

„Der Mann, der Marie eines Tages zur Frau bekommen wird? Ich fass‘ es nicht!“

So hatte ich ihn noch nie erlebt.

„Was glaubst du wohl, warum mir eine breitgefächerte Bildung und verschiedene Fähigkeiten bei den Mädchen so wichtig sind?“

Ja, warum wohl? Schon immer hatte ich mich gefragt, wozu das viele Lernen gut war. Vielleicht, damit ich später nicht alles selber tun musste, sondern die schweren und unangenehmen Tätigkeiten an andere delegieren konnte? Das aber sahen unsere Eltern komplett anders. Schlimmer noch: An dieser Frage schieden sich die Geister der beiden. Zwar waren sich beide in dem Punkt einig, dass es nicht schaden konnte, wenn Marie und ich wussten, wie sich wirkliche Arbeit anfühlte. Doch bei dem eigentlichen Zweck dahinter gingen ihre Meinungen stark auseinander.

Team „Mona Lisas Lächeln“ gegen Team „Die Frauen von Stepford“: Wo Papa uns früh genug das nötige Rüstzeug mitgeben wollte, damit wir später auf unseren eigenen Füßen stehen konnte, träumte Muttern davon, dass wir ganz traditionell heiraten würden. Familiengründung inbegriffen.

„Die idealen Ehefrauen? Geht’s noch? Und was machst du, wenn sich niemals auch nur ein geeigneter Heiratskandidat einstellt oder Marie und Resina lieber Single bleiben wollen?“

Oder sich vielleicht aus Männern auch gar nichts erst machen, fügte ich in Gedanken hinzu, hielt aber meinen Mund und drückte mich ängstlich in eine Ecke, weil die Fetzen nun erst so richtig flogen. Verbal gaben sich beide nichts, so viel stand fest. Verstört hatte ich mir mit pochenden Händen die Ohren zugehalten, doch ab und zu war doch der ein oder andere Fetzen zu mir durchgedrungen.

Wenn dem Mann andere Qualitäten wichtiger sind… Oder der Mann vorher stirbt und die Frau alleine dasteht, so ohne Beruf… Oder oder oder… Oder ganz abhaut!

Oder ganz abhaut? Da war mir schlecht geworden, denn das hatte gar nicht mehr nach dem dämlichen Spruch „wenn das Wörtchen wenn nicht wär“ geklungen, sondern nach bitterer Realität. Papa wollte uns verlassen? Nein, das durfte nicht sein! Aber mein stummes Flehen war nicht erhört worden, und so hatte ich fassungslos mit ansehen müssen, wie er seine sieben Sachen packte und die Tür hinter sich ins Schloss knallte, während Muttern käseweiß und unter Tränen auf ihrem Stuhl zusammengesackt war.

Die Pizza im Ofen war dabei schwärzer und schwärzer geworden.

Wenig später hatten wir Gewissheit: Mit dem Eintreffen des Briefs von seinem Anwalt, in dem von Scheidung die Rede war, hatten wir die Hoffnung, dass er zu uns zurückkehren würde, für immer begraben. Einzig die monatlichen Zuwendungen für Marie und mich, nicht mehr als ein Tröpfchen auf den heißen Stein, waren das einzige Zeichen dafür, dass er noch existierte. Nur wo er geblieben war, wusste kein Mensch zu sagen.

Schniefend fegte ich die letzten Reste von dem, was einst Gebäck gewesen war, zusammen und kippte sie in den nächsten Bach, der die schwarzen Brocken mit sich trug. Dann sah ich mich um. Frau Holles Bäckerofen hatte ich ja nun leider viel zu spät gefunden, doch wenn ich mich ranhielt, konnte ich es noch zur nächsten Station schaffen. Doch wohin des Wegs? Eine Orientierungshilfe, egal wie klein, wäre jetzt nützlich gewesen, und tatsächlich erspähte ich zwischen den sich lichtenden Rauchschwaden einen hölzernen Wegweiser mit drei Richtungspfeilen daran.

Zur Apfelwiese… Zum Wolfswald… Nach Zwergenhausen

Das war ja einfach! Kaum hatte ich den Gedanken laut ausgesprochen, erschien vor mir wie aus dem Nichts ein Weg aus roten Steinen. Nicht aus gelben? Ach ja, ich vergaß: Ich wollte ja nicht zur Smaragdstadt, sondern zur Alten vom wandernden Wolkenkuckucksheim, besser bekannt als Frau Holle. Maries Ausführungen nach konnte es nicht mehr weit sein. Aber das hatte sie ja auch über den Weg zum Backofen gesagt, aber da ich es mit dem Motto „im Zweifel für den Angeklagten“ hielt, versuchte ich, optimistisch zu bleiben. Vielleicht geschahen ja wirklich noch Zeichen und Wunder.

Und wenn es nur mir vor die Füße kullerndes Fallobst war.

Rewind the Classics *** Märchen neu erzählt (3)

(zuerst veröffentlicht am 08.01.2023 auf Wattpad)

Kapitel 3 : Just keep walking

Sie kam, wie die andere, auf die schöne Wiese und ging auf demselben Pfade weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot wieder: „Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon längst ausgebacken.“ Die Faule aber antwortete: „Da hätt ich Lust, mich schmutzig zu machen,“ und ging fort..


Abenteuer der Landstraße… wer’s glaubt: Just keep walking. Yo. Mit hängender Zunge und staubigen Füßen. Alles hätte ich dafür gegeben, jetzt auf einen achtlos am Straßenrand zurückgelassenen Roller zu stoßen; was interessierte mich da mein Geschwätz von vorgestern über die Verkehrshindernisse auf zwei Rädern oder die Pest auf Rollen. Jetzt jedenfalls herrschte auf dieser Chaussee gähnende Leere – weit und breit war kein Schwein unterwegs an diesem Tag, der am Anfang noch sonnig gewesen war. Nicht mal ein simpler Eselskarren war unterwegs zu sehen, was ich doch seltsam fand, wenn ich genauer darüber nachdachte.

So viel zum Thema, dass ich dann halt später an der Abzweigung ankommen würde. Denn so langsam fühlte ich mich wie der Typ in dieser uralten Aral-Werbung, der stundenlang mit leerem Kanister durch die Pampa stapft, auf der Suche nach der richtigen Tankstelle. Denn in den Tank seines liegengebliebenes Vehikel kommt nicht jeder x-beliebige Sprit. I’m walking? Schon blöd, wenn es dann mit der Latscherei länger dauert, so ohne Snickers und sonstigem Proviant im Allgemeinen? Ein Stück Pizza wäre jetzt schick gewesen. Oder meinetwegen auch ein Apfel. Man ist doch sonst nicht so anspruchsvoll.

In meinem Fall machte mir nämlich nicht ein leerer Kanister zu schaffen, sondern ein leerer Magen. Kein Wunder, wenn die Vorräte zur Neige gehen und man gezwungen ist, sie sich besser einzuteilen, wenn man den kommenden Tag überstehen will. Eines jedoch ließ sich nicht einteilen: Das Tageslicht. Inzwischen näherte sich die Sonne bedenklich dem rötlich schimmernden Horizont. Auch das noch! Wenn ich nicht bald einen Unterschlupf für die Nacht fand, war ich am Arsch. Aber sowas von.

Nachts unter freiem Himmel in der Einöde würde mir auch das ganze Geld aus meinen Aktienspekulationen nichts helfen. Money can buy you almost anything, but anything’s nothing when you’re dead, kam mir da die Zeile des Liedes in den Sinn, das mich schon seit der Mittagszeit verfolgte, nachdem ich den letzten Rest meines kaltgewordenen Brathähnchen verputzt hatte.

Verflixt und zugenäht, wir drehen uns im Kreis. Leider wusste ich nur zu gut, wohin das führte, wenn meine Gedanken damit anfingen, Karussell zu fahren: nämlich zu einer Fahrt ohne Garantie aufs Ankommen, ganz wie in meinem persönlichen Alptraum, der mich früher immer dann heimgesucht hatte, wenn ich unter Strom stand: Gestrandet in einem Dorf, in dem ich mich seltsamerweise gleich wie zu Hause fühlte, obwohl ich dort nie zuvor gewesen war, und auf der Suche nach einem Weg nach draußen, den es nicht gab, sonst hätte mich der verflixte Wegweiser nicht ständig in die Irre geführt. Dass ich davon schweißgebadet aufwachte, machte es nicht besser und war nur der Vorgeschmack auf die nächste Nacht, in der ich denselben Mist träumte. Durchhalten, versuchte ich, mir Mut zu machen, denn aus Erfahrung wusste ich, dass der Spuk nur wenige Tage anhielt. Das erste Mal, nachdem Papa und Mama…

U-iiiiieeeek. U-ääääk. Rrrr-uäääh.

Um Himmels willen, das Gekreisch war ja kaum auszuhalten und machte, dass ich komplett den Faden verlor. Reflexartig hielt ich mir die Ohren zu, bevor sie zu bluten anfangen konnten. Mein Gott, dagegen klang ja jede Feuersirene melodischer. Wer auch immer dafür verantwortlich war, die Nervensäge würde sich auf etwas gefasst machen können, wenn ich sie erst einmal ausfindig gemacht hatte. Wild entschlossen, der Quelle des infernalischen Lärms auf den Grund zu gehen, zog ich eine Packung Taschentücher aus meinem Rucksack und bastelte mir aus ihnen mehr schlecht als recht einen provisorischen Gehörschutz.

Auch wenn ich mit den Tempos in meinen Ohren absolut lächerlich aussah und mich mein Schatten entfernt eine abgespeckte Version von Shrek erinnerte, so war ich dankbar für diesen geschickten Move. Jetzt waren die bei jedem meiner Schritte immer lauter werdenden Schreie zwar immer noch zu hören, dafür nun aber endlich auf ein erträgliches Maß gedämpft. Gleich war es soweit, nur noch eine Kurve, dann…

Ein Pfau!

Einer? Ach was, mehrere. Hätte ihr penetrantes Gequäke meine kleinen grauen Zellen nicht lahmgelegt, wäre ich wahrscheinlich viel eher darauf gekommen, denn soweit ich diese Strecke noch in Erinnerung hatte, gab es hier weit und breit keine Fasanerie. Oder etwa doch? Auf Google Maps oder Google Street View war auch kein Verlass mehr, denn die hätten mir alles Mögliche gezeigt, nur nicht den von mir seit Stunden gesuchten Wegweiser; und schon gar nicht das seltsame Bild, das ich nun sah: abseits der sich durch die hügelige Landschaft windenden Straße erstreckten sich saftige Wiesen in einem unwirklichen Grünton bis zum Horizont. Und als ob das alleine nicht gereicht hatte, tummelten sich auf ihr blaue und weiße Pfauen. Einer von ihnen schlug ein Rad, sichtlich bemüht, die Dame seiner Wahl zu beeindrucken.

Pfauen. Mitten in der Pampa. Komische Halluzinationen waren das. War am Ende das Brathähnchen an ihnen schuld? I wo, das Vieh war ganz frisch gewesen, daran konnte es nicht liegen. Noch vor meinem Aufbruch hatte ich es im Ofen knusprig gebraten. Knusprig braten – wenn man vom Teufel spricht, durchfuhr mich ein Gedanke, als sich mein knurrender Magen lautstark bemerkbar machte.

So schön und dennoch surreal der Anblick der majestätisch dahinschreitenden Vögel auch war, am Ende war es die Rauchfahne, die hinter der nächsten Hügelkuppe in dichten Schwaden über den Himmel zog und mir einen Gestank entgegen trug, den ich seit jenem Tag verdrängt hatte – den von verbrannter Pizza.

Rewind the Classics *** Märchen neu erzählt (2)

(zuerst veröffentlicht am 08.01.2023 auf Wattpad)

Kapitel 2 : Beautiful girl

Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleißig, die andere häßlich und faul. Sie hatte aber die häßliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere mußte alle Arbeit tun und der Aschenputtel im Hause sein.

Schönheit vergeht, Hektar besteht. Wobei Schönheit relativ ist. Nur weil ich nicht dem allgemein gängigen Ideal entspreche. Blonde Wallelocken, Sanduhrfigur, Stupsnäschen, volle Lippen in zartem Rosa. Sorry, tut mir leid, damit kann ich nicht dienen. Ich korrigiere mich: Es tut mir nicht leid, dass ich nicht so eine typische Instagram- oder TikTok-Tussi bin. Diese Flausen hat Muttern uns schon früh ausgetrieben, von wegen Rosinen im Kopf und so. Instagram, ha ha… So ein Stuss! Aber im Blödsinn verzapfen, war Muttern schon immer groß.

Hektar besteht? Dazu müsste man halt auch so clever sein und dafür sorgen, dass man seinen Grund und Boden nicht mit einer Hypothek nach der anderen belastet. Tja, und weil wirtschaftliche Zusammenhänge zu erfassen, noch nie ihre Stärke war, hält es Muttern für eine ganz tolle Idee, Trödel zu sammeln und von Marie aufmotzen zu lassen, um den Kram bei etsy oder Ebay-Kleinanzeigen weiter zu verscherbeln.

Neben der Hausarbeit natürlich, für die sie mich nur ungern einteilt, seit wegen mir ihre weiße Wäsche rosa aus der Maschine kam, mitsamt den auf Babygröße zusammengeschrumpften Cardigan aus Wolle, ein Erbstück von Oma.

Dieser rein zufällige Unfall brachte mich auf eine geniale Idee. Frei nach dem Motto „dich einmal dumm gestellt, hilft dir durchs ganze Leben“. Ein zerstörtes Meißner-Kaffeeservice und eine unter Wasser gesetzte Wohnstube später, und ich genoss fortan Narrenfreiheit.

Herrlich, endlich tun und lassen zu können, was ich will! Mein Lieblingsplatz unterm Birnbaum. Endlich konnte ich nach Herzenslust Pläne schmieden, wie ich mir den Alltag noch angenehmer gestalten konnte und beschloss, die angesparten Kröten in Aktien zu investieren: Billig einsteigen, die Dividenden mitnehmen und zum höchstmöglichen Kurs verkaufen. Vorausgesetzt, weder Muttern noch Marie oder gar die Tante bekamen etwas davon mit. Die hätten bestimmt Mittel und Wege gefunden, mir die Freude zu verderben und mir das Taschengeld komplett zu streichen. Mit meinen Geschäften und dem schönen Leben wäre es dann vorbei.

Ein GAU, der im Prinzip längst eingetreten war, wenn ich so drüber nachdachte, denn sonst hätte ich mich nicht auf einer staubigen Landstraße wiedergefunden, wo ich vergeblich auf eine Mitfahrgelegenheit wartete. Nicht einer hielt trotz meines ausgestreckten Daumens an. Dann eben nicht, maulte ich in der Mittagssonne vor mich hin. Schließlich habe auch ich meinen Stolz; niemals, so hatte ich mir geschworen, würde ich so tief sinken und die Röcke raffen, um verführerisch ein Bein rauszustellen. Das war sowas von letztes Jahrtausend und unter meinem Niveau. Dann würde ich halt später an der Abzweigung zum Feldweg ankommen von wo es zu den sieben Hügeln hinter den sieben Weiden führen würde, wo die Alte angeblich wohnte.

Wenn wir alle Marie Glauben schenken durften, dann lebte die in einem Palast. Warum mir allerdings Google Maps den nicht anzeigte, war mir ein Rätsel. Ihr wandelndes Schloss war schließlich kein Ableger der berühmt-berüchtigten Area 51 oder ein Ort, wo man Nukleartechnologie entwickelte; und es gab dort weder eine militärische Forschungseinrichtung noch einen um jeden Preis geheim zu haltenden Teilchenbeschleuniger. Nur einen riesigen parkähnlich angelegten Hof, auf dem die Alte die unterschiedlichsten Arten von Federvieh hielt.

Tauben Hühner, Enten… wozu also der ganze Aufriss?

Ja, ja, von wegen „man werfe seine Spule in den Brunnen und schwupps! steht man auf einer schönen Wiese“. Wer’s glaubt! Dieses Hirngespinst habe ich Marie von Anfang an nicht abgenommen und ihr später, als alles schlief, ein wenig gründlicher auf den Zahn gefühlt.

Da hatte sie Muttern und den Drachen von Tante aber schön an der Nase herumgeführt und das mit der Spindel doch glatt erfunden, um keinen Ärger zu bekommen, weil sie das Ding verschusselt hatte und weggelaufen war: immer schön am Fluss entlang und der Nase nach, oder besser gesagt den Kanadagänsen auf ihrem Weg nach Süden.

Gänse, Pfauen, Schwäne… Wenn jetzt noch Kraniche, Kormorane und Flamingos dazukamen, war der Vogelpark komplett. Ach ja, ich liebe es, wenn meine Schwester ihre blühende Fantasie unter Beweis stellt. Aber jetzt mal im Ernst: Als sie den Teil mit den Pfauen und Schwänen hinter sich gelassen hatte und den Wegweiser aus Stein mit den beiden charakteristischen Brotschiebern erwähnte, wusste ich Bescheid. Schließlich hatte ich ihn schon oft genug im Traum geseehn

Den Umweg über den Flusslauf konnte ich mir sparen und direkt die Straße nehmen. So weit der Plan.

Tja, und da haben wir auch schon das Dilemma, frei nach dem Motto „Alles verlief nach Plan, doch der Plan war Murks“. Denn wenn man darauf spekuliert, dass irgendjemand einen schon mitnehmen würde, wird hundertprozentig nichts draus. So viel hätte mir schon mein Verstand sagen müssen.

Doch der muss an diesem Tag Sendepause gehabt haben.

Rewind the Classics *** Märchen neu erzählt (1)

(zuerst veröffentlicht am 05.01.2023 auf Wattpad)

Kapitel 1 : Das Haus am See

Das Tor ward aufgetan, und wie das Mädchen gerade darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen, so daß es über und über davon bedeckt war. „Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist,“ sprach die Frau Holle und gab ihm auch die Spule wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war.

Hei, war das ein Spaß, als meine liebe Schwester mit prallgefüllten Taschen, randvoll mit goldenen Münzen heimkam. Welche Ironie, dass sie da gerade zum x-ten Mal Das Haus am See im Radio dudelten.

♪ Doch irgendwann werd ich vom Glück verfolgt, mh-mh, und komm zurück mit beiden Taschen voll Gold ♪  schallte es zum Fenster raus, bis rüber zu dem Birnbaum, unter dem ich eine Verschnaufpause eingelegt hatte von der Plackerei während Maries mysteriösem Verschwinden. Keiner von uns hatte einen Schimmer, wo sie sich herumgetrieben hatte.  

An dieser Stelle musste ich ausnahmsweise meiner Schwester neidlos lassen, dass es ein ziemlich cleverer Move von ihr gewesen war, sich mit zwei Jutebeuteln vom Biomarkt unter das Tor zu stellen, um das viele „Gold“ von dieser Falschmünzerin aufzufangen, denn die hatte sie locker unter ihren Klamotten verbergen können und waren daher am wenigsten aufgefallen. Stofftaschen? Ach, ihr habt doch nicht etwa geglaubt, dass sie wie ein Christbaum behängt, nach Hause getrabt wäre, ohne dass auch nur das kleinste Fitzelchen von ihr abgefallen wäre. Sie hätte ja eine Spur nach Sonstwo hinterlassen. Und flüssiges Gold? Denkt an Viserys Targaryen. Aber das hatten wir schon.

Mit offenem Mund und großen Augen hörte ich mir in aller Ausführlichkeit an, was sie bei „der Alten vom wandernden Wolkenkuckucksheim“ erlebt hatte und stützte mich gedankenversunken auf den Besen, mit dem ich eigentlich den Hof kehren sollte. Aber da kannte ich meine Tante Ursula schlecht. Sofort baute sie sich zu ihrer vollen Größe vor mir auf und setzte zu einer Moralpredigt an.

Typisch Tante Ursula. Diese Hexe ging mir schon seit dem Moment gehörig auf den Zeiger, seit sie zum verkehrtesten Zeitpunkt bei uns hereingeschneit war und Mutterns schönen Plan torpediert hatte. Adé, traute Mutter-Tochter-Zweisamkeit, hatte ich im Stillen vor mich hin geseufzt, da Papas Schwester (Gott hab ihn selig) eine von der ganz pingeligen Sorte war. Wenn die auf der Matte stand, drohte Ärger, und tatsächlich:

Wie jetzt… du hast vor, dir per Aushang für die Hausarbeit irgendwelche Schüler zu suchen, die ab und zu ihr Taschengeld aufbessern wollen? Also ehrlich! Du willst im Ernst unnötig Geld zum Fenster rauswerfen, wo du es doch sowieso nicht so dicke hast – aber dafür eine Tochter, die das Arbeiten auch nicht erfunden hat? Höchste Zeit, dass Resinas Faulenzerei ein Ende hat.

Tolle Wurst. Da hatte ich nun den Salat, denn von da an war es beschlossene Sache, dass ich gefälligst anpacken sollte, wobei die Begriffe ruhig mal, ausnahmsweise und mit anscheinend generell in ihrem Vokabular nicht vorkamen. Tritt ein, bring Glück herein? Selten so gelacht.

Nicht. Ja, bin ich denn das Aschenputtel?

Tante Ursula kann mich mal. Ständig hing mir diese Ausgeburt der Hölle auf der Pelle, feudelte und wischte mir in einer Tour hinterher und kontrollierte mich auf Schritt und Tritt. Pausen machen? Zeitverschwendung! Nicht mal fünf Minuten Ruhe gönnte sie mir und nannte mich faul, nur weil ich mir schöneres für mein Leben vorstellen konnte, als irgendwelchen sinnlosen Sisyphusarbeiten nachzugehen. Für mich gab es nichts schöneres, als in ein Buch einzutauchen und meinen Gedanken nachzuhängen. Doch dafür fehlt der Tante der Sinn.

Ach ja, die Tante. Die kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, da waren sie und Muttern sich zur Abwechslung mal einig. Aber ich wusste, es war nicht von Dauer. Denn kaum hatte sich Tante Ursula zur Nachtruhe begeben, nachdem Marie ihre Erzählung über ihre Erlebnisse beendet hatte, da sah ich ihn: den lauernden Blick in Mutterns Augen. Das verräterische Funkeln in ihnen kannte ich nur zu gut, und ich wusste auch schon, was gleich kommen würde.

Mehr.

Ich brauche mehr davon.

Mehr Gold!

Du weißt schon wo…

Also schickte sie mich auf den Weg und ermahnte mich, gut achtzugeben, dass mir auch ja kein Fehler unterlief. Natürlich musste Tante Ursula auch noch ihren Senf dazugeben und anmerken, dass ich es dann aber auch bitte schlauer anstellen sollte als unser Goldkind, die bloß mit zwei läppischen Taschen aufgekreuzt war, wo doch ein Bottich ja wohl das mindeste gewesen wäre!

Ach, es hatte keinen Zweck, den beiden zu verklickern, dass so ein Behälter einiges wöge und es schwierig werden würde, ihn von A nach B zu schaffen, ohne mir dabei einen Bruch zu heben oder auch nur eine der kostbaren Münzen zu verlieren. Aber da bei Muttern Widerstand zwecklos war, fügte ich mich leider zum Glück in mein Schicksal und schnappte meinen Rucksack, in den alles Mögliche reinging. Nur leider kein Gold.

Rewind the Classics *** Märchen neu erzählt

(zuerst veröffentlicht am 04.01.2023 auf Wattpad)

Prolog

… als sie aber darunter stand, ward statt des Goldes ein großer Kessel voll Pech ausgeschüttet. „Das ist zur Belohnung deiner Dienste,“ sagte die Frau Holle und schloss das Tor zu. Da kam die Faule heim, aber sie war ganz mit Pech bedeckt, und der Hahn auf dem Brunnen, als er sie sah, rief: „Kikeriki, Unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hie.“ Das Pech aber blieb fest an ihr hängen und wollte, solange sie lebte, nicht abgehen …

Alles Quatsch! Alles gelogen! Besonders der Teil mit der Jungfrau. Und erst recht der Teil mit dem auf mich herab geschütteten Pech. Okay, vielleicht steckt doch ein ganz kleines Fünkchen Wahrheit darin, aber jetzt mal Butter bei die Fische: Glaubt ihr wirklich, ich wäre tatsächlich so dumm gewesen, wie ein Ölgötze unterm Tor stehenzubleiben und seelenruhig abzuwarten, bis der Kessel mit dem kochenden Inhalt leer war?

Da hat euch nämlich jemand aber ein schönes Märchen erzählt.

Das Zeug wird nämlich 180°C heiß, da bist du tot, bevor du Piep! sagen kannst. Viserys Targaryen könnte ein Lied über sich und seine Krönung mit flüssigem Gold singen, wenn er denn noch leben würde. Aber das ist eine andere Geschichte, die mit meiner nichts zu tun hat.

Nein, wenn ihr wirklich wissen wollt, wie es mit mir weitergegangen ist, drückt jetzt auf „Rewind“, und ich erzähle euch, was sich tatsächlich zugetragen hat.

Ach ja, und übrigens: Der blöde Gockel ist auf dem Grill gelandet, weil er seinen Schnabel einmal zu oft aufgerissen hat. Man braucht ja schließlich einen Proviant für unterwegs.

Rewind the Classics *** Märchen neu erzählt

… was so klingt wie „Rapunzel neu verfönt“, hat einen etwas anderen Hintergrund.

Unter dem Stichwort „Rewind the Classics“ gab es letztes Jahr auf Wattpad einen Wettbewerb, von dem ich durch reinen Zufall erst hinterher erfahren habe. Und weil es zu jenem Zeitpunkt gerade so schön geschneit hat, kam ich plötzlich auf die Idee, mir ein ganz anderes Märchen vorzunehmen, um damit mein Glück zu versuchen. Weit gekommen bin ich damit jedoch nicht, weil mir ein anderer Wettbewerb – der Open Novella Contest (ONC) in die Quere gekommen ist. Da der ONC nun aber vorbei ist und ich jetzt nur noch abwarten kann, ob es mein Beitrag auch über die letzte Runde hinaus kommt und damit eine Chance auf einen der vorderen Plätze erhält, hat die Pause meiner Märchenversion ein Ende:

Vorwort

Interpretiert alte Klassiker neu und verpasst ihnen einen unerwarteten Twist…

Klingt spannend? Das finde ich auch, aber bis zur nächsten Runde wollte ich nun wirklich nicht warten, zumal es gerade erst so schön geschneit hat. Und darum heißt es hier und heute: Die Zeit ist reif für einen ganz besonderen Grimm’schen Märchenklassiker, und zwar für:

(Vorwort zuerst veröffentlicht am 31.12.2022 auf Wattpad)

Nach und nach werde ich unter der Rubrik „Rewind the Classics“ – die einzelnen Kapitel hochladen (unter Angabe des Erstveröffentlichungsdatums) und die Geschichte weiterschreiben, in der Hoffnung, dass diese in naher Zukunft fertig wird.

Wattpad-Schreibchallenge „Mein Buch für Dich“: Kapitel 21

Kapitel 21 *** Lilly : Lucretia my reflection

I hear the roar of a big machine
Two worlds and in between
Hot metal and methedrine
I hear empire down
I hear empire down

-Sisters of Mercy „Lucretia my reflection“-

♪♫ ♪♫ ♪♫ Give me a festival and I’ll be your Glastonbury star… ♫♪ ♫♪ ♫♪

Musste das sein? Wer auch immer das Radioprogramm zusammengestellt hat, hätte nicht noch mehr Salz in unsere Wunden streuen können als mit dieser kreuzdämlichen Werbung. Wetten, dass von denen niemand weiß, wie der Song weitergeht?

The lights are shining everyone knows who you are …

Was für ein Brüller! Spätestens nach dem Interview mit diesem Käsblatt morgen wird uns die ganze Welt kennen. Wenn’s nicht so traurig wäre, könnte ich darüber lachen. So wie der Rest der Welt über uns.

„Kommt, wir finden einen Schatz? Am Arsch!“

Dass ich das noch erleben darf: die vertraute Stimme von Ellie. Was habe ich ihr Gezicke vermisst. Sie und Finns Versuche, sie zu beeindrucken.

… Singing songs about dreams about hopes about schemes, ooooh, they just came true…

Mein Traum ist wahrgeworden: Endlich wieder zusammen, endlich wieder vereint. Nach der ganzen Zeit, die mir wie eine Ewigkeit vorgekommen ist – in der ich mir schon das Allerschlimmste ausgemalt habe. Sag hallo zur Hölle? Besser nicht, wenn das heißt, den Liebsten nie mehr wiederzusehen, als Strafe dafür, dass ich ihn einmal zu oft zum Teufel gewünscht habe, weil er mir mit seinem Betüddeln zuletzt immer öfter auf die Nerven gegangen ist. Doch jetzt?

Kaum ist der Arzt zur Tür raus, zieht mich Flo in einer stürmischen Umarmung von meinem Bett hoch und auf die Füße. Mein Herz! Endlich habe ich ihn wieder, und nur das zählt. Eins schwöre ich: Jetzt, wo ich die Klinik endlich verlassen darf, verschwende ich unsere wenige Zeit zu zweit bestimmt nicht mit unnützen Gedanken. Wie zum Beispiel den, dass es trotz dem bevorstehenden Interview mit der örtlichen Presse fürs Festival noch nicht zu spät ist.

War ja klar, dass Ellie damit herausplatzen muss. Als ob wir nicht gerade erst die hinter uns liegende Hölle mit Hängen und Würgen überstanden haben. Wenn ich zum Beispiel nur an meine Dauerübelkeit zurückdenke. Doch für Finn ist das Thema noch lange nicht erledigt.

„… aber so richtig schlecht ist mir bei diesem Schrei geworden!“

Stockend beendet er den angefangenen Satz, dann sackt er käseweiß auf meinem Bett zusammen. Mir entgeht nicht, wie schnell plötzlich Ellie an seiner Seite ist und seine zitternden Hände in ihre nimmt. Wie um ihn zu beruhigen, flüstert sie ihm für mich unverständliche Worte ins Ohr. Alles unter den Augen von Jo, der verwundert darüber, wie vertraut die beiden plötzlich miteinander umgehen, eine Augenbraue in die Höhe zieht, aber nichts sagt. Und tatsächlich wirkt Finn bald schon deutlich gefasster und murmelt etwas, das sich wie ach ja – Billie Eilish anhört. Plötzlich kommt mir Ellies Bemerkung über das Festival nicht mehr wie oberflächliches Geplapper vor. Ob sie das gemacht hat, damit Finn auf andere Gedanken kommt?

„Das Glastonbury?“ unterbricht da Feli die traute Zweisamkeit. „Ihr wollt da jetzt ernsthaft noch hin? Nach allem, was war?“

„Nach allem, was war?“ starrt Fiona ihre Zwillingsschwester mit offenem Mund an. „Wovon, zum Teufel, sprichst du?“

Was ist denn das für eine Frage? Hat Fiona schon unsere Trennung und unser stundenlanges Herumirren vergessen? Oder dass Finn gerade eben erst so etwas wie einen Zusammenbruch hatte? Nach allem was war? Damit ist sie aber bei Flo an der falschen Adresse.

„Jetzt fang bloß nicht damit an, dich dümmer zu stellen als du bist. Als ob du das selbst nicht ganz genau wüsstest! Oder hast du schon den Schrei vergessen?“ Betretenes Schweigen. Dann bricht ein Orkan los, gegen den unsere Waldodyssee nur ein laues Lüftchen war – denn seine Worte lassen uns die Haare zu Berge stehen.

Der Schrei war schon grässlich genug, doch den Rest gab ihm der Anblick des sich öffnenden Portals, das in Zeitlupe wie aus dem Nichts erschien. Selbst in seinen Schmökern fehlte die Eiseskälte, die mit dem Erscheinen diese Übergangs in eine andere Welt einherging. Der jähe Temperatursturz in Verbindung mit dem sich in dem Trichter materialisierenden Etwas bewirkte, dass sich ein bleiernes Schweigen über die Anwesenden legte; ganz gleich, ob er es Trichter, Portal oder Wurmloch nannte – was er sah, ließ ihm auf der Stelle das Blut in den Adern gefrieren, und er hätte schwören können, dass es auch den anderen so ging. Flo liebte es zwar, in einen spannenden Fantasyroman einzutauchen, und von einem wie auch immer gearteten Portal zur Anderwelt zu lesen, war das Eine. Es aber jetzt leibhaftig und überaus real im Zentrum Avalons entstehen zu sehen, überstieg selbst sein Fassungsvermögen.

Eine überirdisch schöne Gestalt, dunkel wie die tiefsten Kreise der Hölle, trat zu ihnen in den Kreis und visierte Morgane, die mit dem immer noch gen Himmel erhobenen Juwel wie eine kleine Version der Freiheitsstatue aussah.

Wer von euch hat es gewagt, das Gleichgewicht zu stören? Wie das Donnergrollen eines langsam und bedrohlich heraufziehenden Gewitters im August, hallte die Stimme der Gestalt über die Insel hinweg, doch noch immer rührte sich Morgane nicht. Warst Du es?

Mein Gott, warum antwortest Du nicht, dachte Flo, du weißt doch ganz genau, dass Leugnen zwecklos ist und sie dich längst durchschaut hat. Das hier würde kein gutes Ende nehmen, und schon gar nicht für jene unter ihnen, die den Fürst der Finsternis unterschätzt hatten.

Der Fürst der Finsternis. Wer’s glaubt. Connor war der Erste, der aus seiner Schockstarre erwachte und verächtlich schnaubte. Das Tor zur Hölle öffnen? Pah, alles Ammenmärchen! Bewegung kam in den aufgescheuchten Haufen. Doch da hatten sie die Rechnung ohne den Schwarzen Engel gemacht, der nun von Morgane abließ und den cholerischen Gangsterboss ins Visier nahm.

Der Fürst der Finsternis? Was wisst ihr Narren schon!

Richtig. Der Höllenfürst hätte sich nie dazu herabgelassen, persönlich den armen Irren, die die Trennung zwischen dem Diesseits und der Unterwelt mit Hilfe ihres faulen Zaubers aufgehoben hatten, die Leviten zu lesen. Natürlich nicht. Nicht einmal Luzifer hätte das getan. Der machte es sich lieber in einem Liegestuhl am Läuterungsberg gemütlich und beobachtete völlig tiefenentspannt mit einem Sex on the Beach, welche armen Seelen es diesmal erwischte. Dieses Spektakel konnte er sich unmöglich entgehen lassen. Sollte sich doch seine Assistentin um die lästige Angelegenheit kümmern. Die Süße wurde ihm in letzter Zeit sowieso wegen der schon lange ausstehenden Beförderung zu aufmüpfig, da würde es der kleinen Kratzbürste nicht schaden, wenn sie die ultimative Aufgabe bekam, mit der sie sich beweisen konnte.

Lucretia.

In ihrer düsteren Pracht stand diese vor Connor und funkelte ihn drohend an. Gleich würde das Fass überlaufen. Wie ihr oberster Herr und Meister, war sie wenig erfreut, dass nun die Pforte zur Hölle weit offenstand.

Dummheit und Gier! Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder einfach nach Lust und Laune zwischen unserem Reich und eurem hin und her spazieren kann?

Den Teufel würde sie tun, fuhr sie fort und beschloss, diese Farce auf der Stelle zu beenden, und zwar mit Hilfe des Steins, den sie als Siegel einsetzen und das Tor von innen für alle Ewigkeit verschließen würde. Doch zuvor wollte sie noch ein paar dieser verkommenen Seelen mit sich nehmen. Dieser Connor würde zum Beispiel einen exzellenten Bewohner des fünften Kreises abgeben. Und der Rest? Darüber würde sie Luzifer entscheiden lassen.

„Und dann war es ausgerechnet Jeff, der den Stein ins Rollen gebracht hat“, kommt Flo zum Ende.

Ins Rollen, ha ha, denke ich. Kaum zu glauben, was ich soeben gehört habe: Ein Schnauben von Connor zu viel, dann brach wilder Tumult los. Bei dem Versuch, den Stein zu erhaschen, stolperte besagter Jeff dazwischen und brachte Morgane zu Fall. Die ließ prompt das in tiefem Purpur aufleuchtende Juwel fallen, das von dem Portal angezogen wurde wie von einem Magneten. Dann wurde es undeutlich – ausgerechnet daran kann sich Flo auf einmal nicht mehr erinnern. Erst, als wie durch wundersame Weise auch der letzte der Druidenschar in das Portal eingesogen wurde, kam er wieder zu sich.

Lauft!

Der Schrei mobilisierte ihre letzten Reserven, und sie brachten sich über die langsam auflösende „Seebrücke“ in Sicherheit. Außer Atem drehten sie sich um und wurden gerade noch Zeuge, wie die Insel für immer im Nebel verschwand.

Give me a festival and I’ll be your Glastonbu-

Genug davon, seufze ich wische die nervige Werbung am Smartphone weg, als ich mich durchs Internet klicke, auf der Suche nach dem Interview, das wir diesem Klatschblatt geben sollten.

Der Glastonbury-Zwischenfall : Internationale Gangsterbande ausgehoben – Mysterium um den Stein bald gelöst?

Eigentlich habe ich mehr erwartet, und nicht so einen winzigen Artikel irgendwo im Mittelteil – aber wie es aussieht, ist das Festival, auf dem sich nun Ellie und Finn herumtreiben, für die breite Masse spannender. Auf den Auftritt von Billie Eilish und ihre Abschlussrede am Freitag freut sie sich jetzt schon.

Andererseits kann ich froh sein, dass wir uns vorher darauf geeinigt haben, von den Druiden kein Sterbenswörtchen zu erwähnen. Denn was tatsächlich passiert ist, konnten wir denen von der Zeitung doch unmöglich erzählen. Denn wenn die wüssten, was wir wissen, hätten wir keine Ruhe mehr oder es ginge uns so wie Jeff, Derek & Co, die sich auf dem Weg in die Klapsmühle befinden. Die Assistentin Luzifers. Also bitte!

Und was das Rätsel um das verschwundene Juwel angeht, so wird die Suche hoffentlich im Sande versickern. Finden werden sie es sowieso nicht, und falls doch, so wäre es das

Ende

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Die Vorlage zum 21. Kapitel: alle anderen Jugendlichen (wenn niemand gestorben ist; bei allen okay außer dem Pärchen) kommen wieder zusammen, großes Wiedersehen, Schatz wird übergeben, Zeitungsartikel Jugendliche schaffen es nach einer Weile, auch Hilfe zu bekommen, aber auf dem Weg stolpert eine/r und verletzt sich.

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Das war es – das Experiment, bei dem ich mutig Hier geschrien habe, ohne zu wissen, was auf mich zukommen würde. Es hätte ja auch ein Entwurf für einen Mafia- oder Werwolfroman im Stil von Twilight sein können oder eine Fan-Fiction über Stars, bei denen ich mich nicht auskenne; über One Direction oder BTS zum Beispiel. Dass es ein Abenteuerroman geworden ist, hat mich dann doch ungemein erleichtert. Doch nach dem Experiment wäre nicht vor dem Experiment, wenn nicht schon das nächste auf mich warten würde. Mein Titel für Dich, der Open Novella Contest 2023 oder die Neuerzählung eines Märchenklassikers, mit dem ich gerade begonnen habe. Mal sehen, was ich davon hier auf die Menschheit loslasse – vermutlich das letzte der drei Projekte.

Wattpad-Schreibchallenge „Mein Buch für Dich“: Kapitel 20

Kapitel 20 *** Feli : Everyday is Halloween

You lose your routine ‚cause I found my path. What the hell are you trying?
Now I know there is something more -Apocalyptica „Path, Vol.2“-

Nichts wie weg, ist mein einziger Gedanke, als die Tür aufgerissen wird und sich einer dieser Druiden vor Finn aufbaut. Den gesamten Türrahmen füllt dieser Kerl aus. Noch ein Schritt, und es wär’s für ihn, oder besser gesagt für uns. Was musste Finn, der sich den Stein geschnappt hat, sich auch bis ganz nach vorne vordrängeln und mit seinem Gehampel schlafende Hunde da drinnen wecken? Uns schnappen? Nicht mit mir! Reflexartig reiße ich die Kamera hoch und drücke auf den Auslöser, was im Grunde völlig sinnlos ist, weil die Kamera eigentlich gar nicht funktionieren dürfte, nach der langen Zeit. Aber sie tut es, und ein gewaltiger Blitz lässt die gesamte Hütte für einen winzigen Moment grell aufflackern; so grell, dass es in den Augen schmerzt.

Flash. Ah-ah. Saviour of the universe. Flash. Ah-ah. He’ll save every one of us…

Von null auf hundert in einer Sekunde? Das ist der Moment zum Weglaufen! Drei Dumme, ein Gedanke. Und schon hetzen wir, hakenschlagend durch den Wald hinunter zum See.. schlittern mehr, als dass wir rennen, über die glibberigen Steine, die wieder zum Vorschein gekommen sind, seit dieser Rhys den Stein aus dem Schlamm gefischt hat. Wusste ich doch, dass Flo damit recht hatte, als er mit dem Beispiel vom Einen Ring aus „Herr der Ringe“ ankam und feststellte, dass Jo in diesem Punkt echt nicht die hellste Kerze auf der Torte gewesen ist. Das Ding auf diese Weise loszuwerden, um die anderen daran zu hindern, uns weiter durch den Wald zu verfolgen – was für eine Schnapsidee!

Andererseits… sollen diese „Erben Avalons“, wie sie sich schimpfen, doch auf ihrer Insel bleiben. Druiden, die im Wald ausschwärmen, sind Dinge, die die Welt nicht braucht. Doch genau das werden sie, wenn der Stein nicht schleunigst verschwindet. Und genau da beißt sich die Katze in den Schwanz. Es genau wie Jo zu machen, würde absolut nichts bringen, weil die Methode inzwischen auch dem Dümmsten bekannt ist. Und ihn im nächsten Loch im Wald zu versenken, oder gar in der Burg?

Doch bevor ich mein Hirn weiter durch die Mangel drehen kann, höre ich dicht hinter mir einen wütenden Schrei.

Finn! Er ist gestolpert und hat das Gleichgewicht verloren, was nicht weiter tragisch wäre, wenn wir niemanden im Nacken sitzen hätten. Ein Blick über die Schulter, und mir läuft es eiskalt durch die Adern. Die Hohepriesterin!

Wie in Zeitlupe strecken sich ihre langen Krallen nach Finn aus, der sich zwar immer noch nicht aufgerappelt, aber sich im letzten Moment seitlich weggerollt hat und jetzt verzweifelt versucht, wieder auf die Beine zu kommen. Leider vergeblich, denn inzwischen hat Morgane Boden gutgemacht und nun Finns Kapuze im Griff. Als ich ihrem kalten und zugleich triumphierenden Blick begegne, scheint die Zeit einzufrieren, und ich erschauere, wie die anderen vermutlich auch. Das Ende ist nah…

Bis ich ein reißendes Geräusch höre.

Schwer zu sagen, ob es der Stoff von Finns Jacke ist, der unter Morganes Zerren nachgibt und ächzend entzwei geht oder ihr Reißverschluss, der sich unnatürlich laut hallend mit seinem charakteristischen Ratschen öffnet. Aber es kommt aufs Gleiche raus, denn Finn ist zwar nun frei, aber Morgane dafür im Besitz der Jacke, aus der sie mit zielsicherer Genauigkeit den Stein herausfischt und wie eine Trophäe in die Höhe hält.

Die Zeit steht still – diesmal endgültig, denn mir ist, als könne ich ihre Gedanken lesen. Diese Bilder! Was zum…

Ein wie von Sinnen durch den nebeldurchfluteten Wald rasender Unbekannter, auf der Flucht vor Druiden und mit nur einem Ziel: den mir nur zu bekannt vorkommenden Brunnen in der Burg. Nicht lange, und eine Eule kreuzt seinen Weg, wechselt die Richtung, während der Namenlose keuchend am Brunnenrand niedersinkt und mit letzter Kraft einen Beutel in die Tiefe befördert. Jedoch ohne den Schatten zu bemerken, der wie aus dem Nichts hinter ihm auftaucht und offensichtlich nichts Gutes im Schilde führt. Etwas, das auch der Mann am Brunnen zu ahnen scheint, bevor die Vision in undurchdringlichem Schwarz versinken wird, denn sein entgeisterter Blick spricht Bände.

Ohne, dass ich weiß wieso, erkenne ich mit einem Mal die Wahrheit, so unvorstellbar sie auch ist – eine Wahrheit, die so absurd ist, dass sie erstklassigen Stoff für einen Horrorfilm abgeben würde, wenn das hier nicht wirklich passiert wäre, denn sie haben es schon einmal getan. Schon einmal haben sie kurz davor gestanden, ein Portal in die Anderwelt zu öffnen. Doch diesmal wollen sie es dauerhaft tun, und zwar für länger. Für eine sehr lange Zeit. Und dazu brauchen sie den Stein.

Natürlich… ich wusste es: Es muss am Stein liegen, und nur an ihm. Sie brauchen ihn, um dieses verflixte Portal zu öffnen, zu welchem Zweck auch immer. Aber ganz ehrlich? Ihre Gründe sind mir sowas von egal, denn eine einzige Nacht wie Halloween, in der die Schleier zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten hauchdünn werden oder sich gar ganz auflösen, ist das Eine. Aber ein dauerhaft geöffnetes Portal, vielleicht sogar für immer? Everyday is Halloween – was für eine grauenhafte Vorstellung. Den Mondstein hätte Morgane nie in die Finger bekommen sollen. Ja ja, Hätte Hätte

Da mag Finn noch so sehr wieder auf die Füße kommen (wenn auch taumelnd mit seinem verstauchten Knöchel) und auf Flo und mich gestützt mehr schlecht als recht hinter Ellie her humpeln. Unter anderen Umständen könnte ich mein Glück kaum fassen, dass sie uns tatsächlich haben entkommen lassen, egal wie schlecht wir zu Fuß sind. Aber leider sind die Umstände so, wie sie sind – und der Stein dort, wo er nie hätte landen sollen. Bei Morgane und ihrer größenwahnsinnigen Truppe, der wir rein zahlenmäßig unterlegen sind.

„Nur noch ein paar Meter“, höre ich irgendwann Ellie darüber jubeln, dass wir tatsächlich doch in die Nähe einer Straße gekommen sind, nachdem wir uns scheinbar stundenlang durchs Dickicht geschlagen haben.

„Jetzt, wo wir es so weit geschafft haben, wäre es doch gelacht, wenn nicht auch noch gleich ein Auto anhalten würde“, stimmt Flo mit ein. Das wäre ja zu schön, um wahr zu sein. Jetzt, wo wir so weit gekommen sind und die Zivilisation in greifbare Nähe gerückt ist, frage ich mich, was genau uns dazu gebracht hat, so lange durchzuhalten. Jeder andere hätte längst aufgegeben.

Aber egal, ob es sich bei der unsichtbaren Kraft, die uns angetrieben hat, um schiere Verzweiflung handelt oder doch eher die Hoffnung, Verstärkung holen zu können – wenn hier nicht bald jemand entlang kommt, können wir unsere wahrscheinlich nur minimal vorhandene Chance, das Schlimmste doch noch zu verhindern, in die Tonne treten. 

„Na, wenn man vom Teufel spricht“, stöhnt Finn da plötzlich, und ich hebe den Kopf, um zu sehen, was er meint. Und tatsächlich nehme ich nicht nur die Motorengeräusche, sondern auch die Scheinwerfer des Vans wahr, noch bevor er hinter der nächsten Kurve hervor und am Straßenrand zum Stehen kommt.

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Die Vorlage zum 20. Kapitel: Jugendliche schaffen es nach einer Weile, auch Hilfe zu bekommen, aber auf dem Weg stolpert eine/r und verletzt sich.

Wattpad-Schreibchallenge „Mein Buch für Dich“: Kapitel 19

Kapitel 19 *** Gary : Take a picture, it lasts longer

Let’s take this **** to the next level. -Amy Lee (Evanescence), Worlds-Collide-Tour, 23. November 2022-

Ich fass‘ es immer noch nicht. Gegen diesen Alptraum war selbst meine Zeit im Knast, ganz oben unterm Dach, der reinste Kindergeburtstag. Wer hoch steigt, kann tief fallen? Wie wahr, und vielleicht waren mir genau deswegen große Höhen schon immer ein Graus, wobei Alptraum dieses Pandämonium nicht mal ansatzweise trifft. Erst Connor und sein „Gandalf, zu dir komme ich als nächstes“, dann das Gerumpel draußen vor der Hütte und schließlich dieser Druide und wie er die Tür aufreißt, um direkt in diesen Blitz zu starren, der völlig unverhofft kam – so überraschend wie die Reaktion von Harry und Derek, als plötzlich diese Raven vor ihnen stand.

Anscheinend haben sie da genau dasselbe gedacht, denn sonst hätten sie nicht so entsetzt reagiert und ihren Gedanken freien Lauf gelassen, während sie die Druidin ins Fadenkreuz genommen haben.

Ruby?

Hatte ich gerade richtig gehört? Ruby? Diese Ruby, über die sich Derek damals ziemlich unschön ausgelassen hat, nachdem er…

Du hier?

Doch bevor sie ihr unerwartetes Wiedersehen gebührend „feiern“ konnten, brach auch schon die die Hölle los.

Ihnen nach…

Wer auch immer das war. Aber als ob sich die Göre mit der Kamera davon aufgehalten lassen hätte! Plötzlich sprinteten sie und ihre Freunde so schnell los, dass selbst Usain Bolt nicht hinterher gekommen wäre, obwohl wir den jetzt gut gebrauchen könnten.

Sie haben nämlich den Stein!

Jeff hatte ausnahmsweise mal recht. Das hier ist ‘ne Nummer zu groß für uns. Für so schlau hätte ich ihn gar nicht gehalten. Vielleicht hätte Connor auf ihn hören sollen, anstatt „die Dumpfbacke“ so grob mit einem Halt’s Maul abzufertigen. Aber da er noch nie der Geduldigste war und auch nicht der Hellste, wie sich jetzt herausstellt, ist er sofort zur Tür raus und den Flüchtenden hinterher. Doch wenn der Rest von uns gedacht hat, dass es das jetzt war, haben wir uns geirrt. Aber sowas von. Denn nicht nur Connor und Derek sind jetzt hinter ihnen her, sondern auch einige Druiden. Wie war das nochmal mit Usain Bolt?

Ich kann nur raten, was da draußen vor sich geht. Harry ist schon mal nicht dabei, war ja klar. Die Arbeit lässt der nämlich gerne andere erledigen. Nur blöd, dass das jetzt nicht geht, denn plötzlich sehen wir uns dem Rest der Weißgewandeten gegenüber, die sich prompt gegen uns gestellt und den Weg zur Tür blockiert haben. Gekonnt ausgebootet, oder was? Nicht mit Harry, der seine Knarre gezückt und sie nun auf die Oberdruidin gerichtet hat.

So sieht man sich wieder… Wären die Umstände nicht so ungünstig, könnten sich alle Beteiligten freuen. Leider aber haben wir bei dem kurzen, aber heftigen Gerangel die Arschkarte gezogen, und nun stehen wir hier draußen umzingelt, obwohl zunächst doch alles so gut ausgesehen hat.

Gerade noch hat Harry seine neue Gefangene mit dem Lauf der Knarre im Rücken vor sich her getrieben, da stürzt sich auch schon Raven (oder besser gesagt, Ruby) mit einem Schrei auf ihn und beginnt, ihn mit aller Kraft zu würgen, worauf Harry aus dem Gleichgewicht gerät und die Waffe fallenlässt. Verdammter Mist!

Aber warum haben wir auch diesen Angriff aus dem Hinterhalt nicht kommen sehen? Konnte wirklich keiner wissen, dass ausgerechnet Ruby nach dem ganzen Beef zwischen Derek und Harry komplett die Seiten wechseln und jetzt der GAU eintreten würde? Die unschöne Wahrheit: Jetzt haben „ihre Leute“ die Oberhand und uns eingekesselt, aber das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange.

Wiedersehen macht Freude. Normalerweise. Leider ist die Freude nur einseitig, als Morgane triumphierend den Stein emporhält, nachdem in dieser Rhys seiner Herrin außer Atem übergeben hat. Da glänzt und strahlt er in den schillerndsten Farben, leider aber außer Reichweite für Derek, Connor oder Harry. Von mir oder Jeff will ich gar nicht erst anfangen. Doch noch schwerer als die Niederlage wiegt, dass sie zwar den Stein wiederhaben, aber die anderen ihnen trotzdem entwischt sind. O diese Schmach. Wie groß sie ist, geht mir jetzt erst so richtig auf. Als ob es nicht gereicht hätte, dass sie uns im Zentrum ihres Dorfs in einem Kreis zusammengetrieben haben und wir uns jetzt auf Unsägliches gefasst machen dürfen. Denn eines ist klar: Für dieses Sakrileg werden wir büßen müssen, und dann Gnade uns. Schon rotieren die Rädchen unter meiner Schädeldecke und ich male mir unsere bevorstehende Strafaktion in den grässlichsten Details aus, da beginnt das inzwischen immer heller strahlende Juwel zu pulsieren und die Atmosphäre um uns herum in immer heftigere Schwingungen zu versetzen.

Und mitten drin Morgane, wie sich die Oberdruidin nennt, die zu uns in den Kreis getreten ist und unverständliche Worte von sich gibt, als ob sie irgendeine magische Formel rezitieren würde. Fast kommt es mir vor, als würde sie eine Vision heraufbeschwören wollen, und je länger der Hokuspokus dauert, desto deutlicher wird mir klar, dass wir uns wehren können wie wir wollen, es wird uns nichts nützen. Und dazu muss ich ihre altertümliche Sprache noch nicht einmal verstehen. Vor meinen Augen (und höchstwahrscheinlich auch vor denen der anderen) erscheinen plötzlich Bilder, von denen ich keine Ahnung habe, wo sie herkommen und die ich am liebsten nie gesehen hätte.

Der See mit den Beltanefeuern, der Eichenwald, in dem sich immer dichterer Nebel ausbreitet, und ein Mann in schnellem Lauf, der sich immer wieder umdreht, so als sei er auf der Flucht vor einem namenlosen Grauen.

Die Druiden! O diese Narren… Das Tor zur Anderwelt wollen sie öffnen? Das darf niemals geschehen. Unter keinen Umständen.

Die Gedanken anderer lesen zu können, wer hat sich das noch nicht vorgestellt? Es ist schon erschreckend, was man sich so wünscht, wenn der Tag lang ist – und noch erschreckender, wenn man plötzlich genau weiß, was geschehen wird und seinen Wunsch am liebsten rückgängig machen würde. An so einem Punkt bin ich gerade, denn ich kann nicht nur sehen, was hinter dem Flüchtenden liegt, sondern auch, was auf ihn zukommt.

Es ist nicht nur die Eule, die mit einem klagenden, heiseren Schrei dicht über dem Kopf des Unbekannten abdreht und den Mann in schiere Panik versetzt, kurz bevor er den Brunnen erreichen und den Beutel mit dem Stein darin in die Tiefe werfen kann.

Nimm Dich zusammen, nur noch ein kleines Stück, dann ist es vollbracht…

Und es ist auch nicht bloß der Druide, der wild entschlossen ist, den Stein wieder zurückzubekommen, sich jedoch hoffnungslos in den Nebeln verirrt und sein Ziel buchstäblich aus den Augen verliert.

Endlich in Sicherheit. Endlich am Ziel. Endlich kann ich…

Nein, es ist ein Schatten in Schwarz mit rötlich funkelnden Augen, der hinter dem Mann mit dem Stein ins Unermessliche heranwächst, um ihn mit einem Schlag ins Jenseits zu schicken, während das Flimmern um ihn herum zunimmt. Das gleiche Flimmern, das in der Luft hing, bevor Morgane diese Vision herbeigerufen hat. Und als ich noch glaube, das soeben Erlebte könne nicht mehr viel schlimmer werden, da erhebt sich der Schatten von seiner vollbrachten Tat und richtet seine wie feurig glimmende Kohlenstücke leuchtenden Augen mit bohrender Direktheit punktgenau auf mich. Noch ein Schritt, dann noch einer. Gleich wird er mich haben, dann war’s das und ich…

Das Portal!

Der angsterfüllte Schrei reißt mich zurück ins Hier und Jetzt und setzt den Bildern des Schreckens ein jähes Ende. Schlagartig breitet sich Schweigen aus. Doch es ist kein gutes Schweigen, sondern eher eines von der beunruhigenden Sorte. So beunruhigend, dass selbst der sonst so abgebrühte Harry erbleicht, als quasi aus dem Nichts ein Trichter entsteht und in ein anderes Hier und Jetzt zu münden scheint, von dem wir alle dachten, es würde gar nicht existieren. Was auch immer sich hier gerade für ein Portal auftut, mit einem wie in „Stargate“ beziehungsweise dem Wurmloch, das sich dahinter befindet, hat es nicht die geringste Ähnlichkeit.

Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren, kommt es mir bei dem Anblick in den Sinn, denn dieses Portal erinnert mich verblüffend an die Kräfte, die Donnie Darko im gleichnamigen Film nachts durchs gesamte Haus ziehen. Liquid Spear Waltz… Alles ist miteinander verbunden und auf seltsame Weise vorherbestimmt. Nur dass das hier größer ist als diese komischen, wurmartigen Gebilde im Film; und zwar sehr viel größer. Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren? Nicht das Eintreten ist das Problem, denn das hier ist nichts gegen Dantes Inferno. Was mich (und wahrscheinlich jeden hier) in Angst und Schrecken versetzt, ist die Frage, wer oder was aus diesem Portal zu uns heraustreten wird.

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Die Vorlage zum 19. Kapitel: Jugendliche können ausbrechen und entkommen mit dem Schatz, Stamm kämpft gegen die anderen Leute.

Wattpad-Schreibchallenge „Mein Buch für Dich“: Kapitel 18

Kapitel 18 *** Raven : Unheimliche Begegnung der Dritten Art

Our ways are not your ways. And there shall be to you many strange things.

-Bram Stoker „Jonathan Harker‘s Journal“ (Dracula)-

Bei der Großen Mutter! Man glaubt es kaum: Eine Horde Elefanten könnte nicht unauffälliger sein, wie sie so in schönster Eintracht durch den Wald trampeln. Obwohl Eintracht anders aussieht, wie Rhys neben mir auf unserem Aussichtspunkt zu Bedenken gibt, zählt er doch acht Personen, von denen vier ungehaltene Kerle in Schwarz vier andere ziemlich grob vor sich her schubsen. Gefangene offensichtlich, und (o Wunder) genau die Vögel, die uns entfleucht sind. Dass ich das noch erleben darf! Dennoch: Mit gerunzelter Stirn lege ich einen Finger an die Lippen, bedeute Rhys, ruhig zu bleiben, denn noch haben wir den Heimvorteil auf unserer Seite. Schlügen wir zu früh los, wäre das Überraschungsmoment dahin. Abwarten, Rhys – auch wenn es dich in den Fingern juckt, signalisiere ich ihm stumm.

So, wie sie sich gebärden, könnte man doch glatt meinen, sie suchen etwas. Nein, falsch, sie lassen es suchen. Nämlich die zwei Mädels und Jungs, die bestimmt nicht damit gerechnet haben, wieder an den Ort der Schande zurückzukehren. Denn wie heißt es doch so schön: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Seltsam nur, dass die anderen drei nicht dabei sind. Was mögen diese Halunken wohl mit ihnen angestellt haben?

„Ach, schau an“, murmelt Rhys beinahe unhörbar, „so sieht man sich wieder“.

Ja, schau an. Doch ich erwidere nichts, war ich doch ohnehin nie die Gesprächigste. Ich freue mich jetzt schon auf das Gesicht, das sie ziehen werden, wenn wir ihnen entgegentreten und die Erkenntnis bei allen Beteiligten dämmert, dass sie uns gewaltig unterschätzt haben.

Versuche niemals, einen Druiden für dumm zu verkaufen, und schon gar nicht durch so einen dilettantischen Versuch, den Stein verschwinden zu lassen, indem du deinen Verfolger ins Reich der Träume schickst und das Corpus Delicti gleich darauf im tiefsten und undurchdringlichsten Morast versenkst. Das reicht zwar, um dir einen Vorsprung zu verschaffen, doch das Problem ist dadurch noch längst nicht aus der Welt.

Es war nur eine Frage der Zeit, so Rhys, bis er die Suche nach dem Mondstein wieder aufnahm, nachdem er wieder zu sich gekommen war. Nichts ist für immer, hat er mir hinterher erklärt und in allen Einzelheiten beschrieben, wie er unablässig das Ufer abgesucht hat, bis er an die Stelle mit den Seerosen kam. Ein seltsames Pulsieren in zarten Gelb- und Lilatönen, kaum heller als das Sonnenlicht, das sich zwischen den Blüten brach und von den schaukelnden Wellen hin und her geworfen wurde und funkelte wie überirdische Juwelen (und davon habe ich, weiß Göttin, schon so einige in meinem Leben gesehen). Da kann er sehr poetisch sein, was in so manchen Momenten bei dem ein oder anderen schon für genervtes Augenrollen gesorgt hat.

Aber auch wenn man sonst über ihn sagen kann, was man will, eines steht fest: Rhys und seinen scharfen Augen haben wir zu verdanken, dass er aus dem Lichterspiel die richtigen Schlüsse gezogen und zielsicher genau die Stelle gefunden hat, an der der Stein verborgen lag. Und nun? Lange wird es nicht mehr dauern, bis sie den Pfad nach Avalon gefunden haben. Dann werden die einen wissen, was die Glocke geschlagen hat, die anderen jedoch nicht. Und genau das ist unsere Chance – unser Moment, um zuzugreifen.

Wie gut, dass wir uns zurückgehalten haben. So sehr ich mich auch darauf gefreut habe, sie mit einem Wir haben auf euch gewartet zu empfangen, hat mir meine Intuition gesagt, dass dies hier noch nicht das Ende ist. Vertrau deinem Instinkt? Ist oft besser so, vor allem dann, wenn eine letzte Person aus dem Dickicht heraus tritt. Somit steht es im Verhältnis wir gegen die anderen acht zu neun für uns. Aber was sagen schon Zahlen aus, auch wenn von Gleichstand keine Rede sein kann? Auf den ersten Blick sieht es zwar nach einem leichten Ungleichgewicht zu unseren Lasten aus, aber (der Göttin sei Dank) da wäre ja noch die Insel selbst oder besser gesagt die Macht Avalons, die wir hinter uns wissen. Tja, tut mir leid Freunde: unser Territorium, unsere Regeln.

Sie waren tatsächlich dumm genug, ausgerechnet unserer Hohepriesterin in die Arme zu laufen. Wenn es um böswillig gesinnte Eindringlinge geht, versteht Morgane keinen Spaß. Mit ihrer furchteinflößenden Aura ist es ihr tatsächlich gelungen, die Halunken so lange einzuschüchtern, bis Huw und Mairead die beiden ungleichen Paare, die wir schon einmal beherbergen durften, hinter Schloss und Riegel verwahrt haben. Wozu so ein Bindezauber doch gut ist.  Aus der Hütte kommen die so schnell nicht raus. Nicht, dass sie uns wieder entwischen, so lange wir dabei sind, die Sache mit den zwielichtigen Typen zu klären. Was das Wir angeht, so halte ich mich lieber im Hintergrund, jedenfalls fürs erste. Irgendwie traue ich denen nämlich nicht. Wer weiß, wozu es gut ist. Aber da mich Morgane sowieso nicht mich, sondern lieber Brighid und Morwen dabei haben will, weil ich lieber den Trank herbeischaffen soll als müßig und Maulaffen feilhaltend in der Gegend herumzustehen, habe ich mir natürlich mal wieder völlig unnötig viel zu viele Gedanken gemacht.

Als ich mit dem Krug herbei eile, eskaliert es gerade aufs Prächtigste. Seltsam, dass Morgane nicht eingreift, als die beiden in Schwarz und Rhys aufeinander losgehen.

„Ich hab doch gleich gewusst, dass das hier ‘ne Nummer zu groß für uns ist, Connor.“

Doch der gibt nichts auf das Gejammer des anderen und schickt ein ruppiges „Halt’s Maul, Jeff“ an seine Adresse, nur um jetzt seinerseits Rhys anzufahren. „Und zu dir, Gandalf, komme ich als nächstes!“

Gandalf? Frechheit! Einen Erben Avalons, der über weitaus größere Fähigkeiten verfügt als so ein ausgedachter Zauberer, ist ja wohl die Krönung. Und dabei sieht er diesem Weißbart mit Gehstock noch nicht einmal ähnlich. Warum Morgane nicht einschreitet, sondern würdevoll im Hintergrund bleibt, verstehe wer will. Ich jedenfalls nicht.

„An eurer Stelle würde ich mich um einen angemessenen Ton bemühen“, schaltet sich nun Morwen ein. Sonst die Sanftmut in Person, legt ihr Tadel eine Schärfe an den Tag, dass ich sie kaum wiedererkenne. Doch es soll noch übler kommen.

„Ist doch sonnenklar, was hier los ist. Den Stein wollen sie, und sonst nichts“, fügt sie hinzu. „Aber da können sie lange warten. Steine gibt es wie Sand am Meer, sollen sie mal schön weitersuchen. Diesen bekommen sie nicht. Eher stürmt und schneit es in der Unterwelt.“

Selbst dem Einfältigsten wie diesem Jeff muss klar sein, dass es ihnen um nichts anderes als Reichtum und Wohlstand geht. Schön, vielleicht auch noch so etwas wie Ruhm, dass es ausgerechnet sie es waren, die diesen unvorstellbar wertvollen Schatz…  Als ob es nur darum ginge. Dabei steht so viel mehr auf dem Spiel. Aber das werden diese Hohlköpfe nie verstehen. Und selbst wenn sie es verstünden, würden sie sich einen Teufel darum scheren.

Ja, wenn man vom Teufel spricht… der ist ja meistens ein Eichhörnchen, und davon gibt es in diesen Wäldern mehr als genug. Oder wie soll ich sonst das verdächtige Geräusch deuten, das draußen kommt? Rhys scheint das ähnlich zu sein und schleicht sich zur Tür, mehr als bereit, sie aufzureißen. Augenblicklich wird es mucksmäuschenstill um mich herum, und mit einem Schrei reißt Rhys die Tür sperrangelweit auf – ein Schrei, der von draußen in reflexartiger Panik erwidert wird. Als ob wir es alle geahnt hätten, stehen draußen ausgerechnet zwei von denen, die wir sicher verwahrt gewähnt haben.

Irgendetwas muss mit dem Bindezauber schiefgegangen sein. Oder Mairead hat schlicht und einfach vergessen, die Zelle anständig zu verriegeln. Da fehlen mir die Worte. Aber da ich ja bekanntlich schon immer die Devise „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ bevorzugt habe, hat mich das entsprechende Gelübde, das ich nach meiner Ankunft auf Avalon ablegen musste, noch nie groß gestört. Genauso wenig, dass ich alles aufgeben musste, was mich an mein früheres Leben hätte binden können.

Besagtes Schweigegelübde einhalten? Nichts leichter als das.

Bis jetzt.

Denn bevor ich mich von dem durch das Gebrüll verursachten Schreck erholen kann, flammt jäh ein Blitz auf und lässt nicht nur mich, sondern alle anderen auch erstarren. Geblendet von dem grellen Weiß, greller als sämtliche Beltanefeuer und Sonnen zusammen, entfährt mir ein Schrei des Entsetzens, als ich wie eine Lumpenpuppe zu Boden sacke, weil mir schwarz vor Augen wird.

Undurchdringliche Finsternis, durch die das Getrappel von davoneilenden Füßen und ein aufgebrachtes „Ihnen nach!“ hallt: Wenn so Ohnmacht aussieht, dann ist bei mir etwas gründlich schiefgelaufen. Denn noch im selben Moment geht mir auf, warum mir der Fünfte im Bunde der Ganoven so bekannt vorkam.

Zwar hatte der sich die ganze Zeit im Schatten der Hütte aufgehalten, doch als der Blitz aufflammte, konnte ich im gleißenden Licht sein Gesicht für einen Bruchteil von Sekunden sehen. Doch dieser kurze Augenblick hat genügt, um ihn zu erkennen: Harry!

Das kann nur ein böser Spuk sein. Denn wo Harry ist, kann auch Derek nicht weit sein.

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Die Vorlage zum 18. Kapitel: Jugendliche und Leute aus der Burg kommen bei dem Stamm an, Jugendliche werden eingesperrt (oder einfach festgehalten ohne Wachen), belauschen Streit um den Schatz