„Broken Strings“ : Chapter 22 – Ship to wreck

So, und wenn Ihr beiden Euch wieder eingekriegt habt, würde ich gerne weiterspielen,“ versuchte Danny zu schlichten und nahm mir die Gläser ab, mit denen ich vor Mikes Nase herumfuchtelte.

Die Idee an sich war nicht schlecht, aber so langsam entfalteten die beiden Shots bei mir ihre Wirkung. Vorerst aber schob ich meine wackeligen Knie noch auf die Aufregung, in die ich mich nach und nach hineingesteigert hatte. Mein Partner sah das offenbar anders, denn er schob mir seinen Stuhl unter den Hintern und plazierte mich auf der Sitzfläche, keine Minute zu früh.

Ein Vorschlag zur Güte: Du bleibst besser hier sitzen und trinkst erst mal ’nen Schluck Wasser“.

Damit hatte er nicht nur seinen Sitzplatz, sondern auch sein Glas an mich abgetreten. Wie fürsorglich von ihm, dass er beschlossen hatte, eine Pause einzulegen, bis sich die Gemüter wieder beruhigt hatten. Weitergespielt hätte ich nämlich auch gerne.

Und Du, mein Freund“, wandte er sich an Mike, während ich das Glas schlückchenweise leerte, „wie wär’s, wenn Du nochmal losziehst und ’ne weitere Runde holst? Aber diesmal ohne die harten Sachen.“

Den Kommentar, dass wir alle auf eine weitere Nacht in der Ausnüchterungszelle verzichten konnten, sparte er sich klugerweise; je eher sich Mike wieder beruhigte, desto besser, und außerdem musste es nun wirklich nicht sein, dass der Rest um uns herum von dieser Szene auch noch Wind bekam.

Falscher Ansatz, Andrea, falscher Ansatz; dieser Punkt geht leider nicht an Euch, auch wenn sich dank Dannys Intervention die beiden Streithähne wieder halbwegs beruhigt haben.

Hey, Danny Du Glückspilz“, tönte es vom Billardtisch zu uns herüber, „gleich habt Ihr gewonnen.“

Jetzt nicht auch noch Ryan – was musste der sich denn jetzt auch noch reinhängen! Leise konnten wir ja nun nicht gewesen sein, wenn man am Billardtisch, fünf Meter weiter, unsere Auseinandersetzung mitbekommen hatte. Warum hatte ich nur das dumpfe Gefühl, dass sich hinter dem scheinbar so harmlosen Glückwunsch mehr verbarg? Mittlerweile kannte ich nämlich seine unqualifizierten Bemerkungen, und auf die legte ich nicht den geringsten Wert.

Mit Andie im Team kannst Du nur gewinnen, und die Verlierer können sich gleich schlafen legen…“ Ha ha, sehr witzig! Sein Sarkasmus hatte mir gerade noch gefehlt. „Aber übertreibt es nachher nicht bei Eurer Siegesfeier.“

Das brachte das Fass zum Überlaufen.

Dieses Match würde keiner von uns gewinnen. Niemand würde es mehr sauber beenden, denn wir gerieten von zwei Seiten in die klassische Lose-Lose-Situation. Er kapierte es einfach nicht. Schon einmal hatte er sich mit seiner großen Klappe in die Bredouille gebracht; er musste schon ziemlich masochistisch veranlagt sein, wenn er sich heute eine zweite Abreibung einfangen wollte. Mike hatte diesen verbalen Ausfall nämlich gehört und kam ohne Nachschub an Getränken für uns zurück, dafür aber mit einem finsteren Blick. So finster, dass keiner von uns einschätzen konnte, was als nächstes passieren würde – aber bestimmt nichts gutes.

Damit war ich nicht die Einzige, denn nun war auch Madlyn auf Hundertachtzig. Sie hatte ich bisher als die Freundlichkeit in Person kennengelernt, nun war davon nichts zu spüren. In puncto Angepisstsein konnte sie Mike locker Konkurrenz machen und ging auch sofort auf Ryan los, der damit nicht gerechnet hatte.

Sag mal, geht’s noch? Du tickst wohl nicht mehr sauber.“

Ja, liebe Madlyn, nun zeigt er sein wahres Gesicht – nun kannst Du Dir selbst ein Bild von seinem Charakter machen. Gerade noch ein prima Teamkollege, und dann – zack! – mutiert er zum Arschloch. Und zwar dann, wenn sein Vorsprung kleiner wird und es für sein Team nicht gut aussieht.

Alles lief super. Aber seit wir punktemäßig hinten liegen, bist Du unausstehlich.“

Ach, der Herr verliert wohl nicht gerne – da hat jemand das gleiche Problem wie Mike.

„Aber wenn Du glaubst, dass ich mir Dir noch ’ne weitere Runde spiele, hast Du Dich geschnitten! “

Und wenn wir verlieren, werden wir ausfallend? Big Drama! Das letzte, was ich empfinden wollte, war Schadenfreude, aber ich konnte auch nicht behaupten, dass ich noch Herrin meiner Sinne war.

Hätte ich doch nicht diese verfluchten Shots abgekippt. Wegschütten hätte ich sie sollen oder die Gläser fallen lassen, wo ich doch schon mit Caol Ila schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Jetzt saß ich hier auf meinem Stuhl wie ein Häufchen Elend und konnte mich kaum von der Stelle rühren, weil bei jeder Bewegung der Boden schwankte.

Sieh es ein, Andrea, Du bist sternhagelvoll und hast das Match erfolgreich torpediert, dazu hat es den von Ryan verursachten GAU gar nicht gebraucht.

Ich hätte es auch nur zu gut verstanden, wenn entweder Mike oder Madlyn ihm ihre Drinks mitten ins Gesicht geschüttet hätten. Wäre ich in der Lage dazu gewesen, hätte ich es getan. Doch anstatt ihren Ärger noch weiter auf den Drummer zu fokussieren, griff sie nach Dannys Hand und warf mir einen giftigen Blick zu, bevor sie ihn mit den Worten

„Und ich glaube, wir beide verschwinden jetzt besser“ aufforderte, den Pub zu verlassen.

Vielleicht war es das wirklich, denn eine weitere Eskalation der ohnehin schon aufgeheizten Stimmung war das Letzte, was wir brauchen konnten. Mit dem Match war es sowieso Essig. Aber noch zögerte er; trotz meines alkoholisierten Zustands konnte ich erkennen, dass er einerseits Ärger mit seiner Freundin vermeiden wollte, andererseits aber kein gutes Gefühl dabei hatte, mich hier einfach sitzen zu lassen. Aber noch ging es mir halbwegs gut, mit Getränken war ich versorgt, und wenn alle Stricke rissen, konnte ich mir später immer noch ein Taxi nehmen. Außerdem waren ja noch die anderen da. Meinen Segen, zu verschwinden, hatte er.

Mach Dir um mich keine Sorgen“, krächzte ich, und schickte ein „alles gut“ hinterher, obwohl ich im selben Augenblick merkte, dass gar nichts gut war. Undeutliche Sprache, das Gefühl, dass sich der Boden in Pudding verwandelt, und verlangsamte Reaktionen… mit zeitlicher Verzögerung klangen Madlyns Worte in mir nach. „Wir verschwinden jetzt besser“

Bevor was passiert? Dieser Tonfall war mir nicht unbekannt. Sie glaubte doch nicht ernsthaft, dass ich mit ihrem Freund die gleiche Show abziehen würde wie mit Ryan? Aber genau so war sein blöder Spruch bei ihr angekommen und hatte nicht nur bei ihr einen wunden Punkt getroffen. Mike schnappte sich dann auch umgehend den Drummer, um ihm klar zu machen, wie daneben er sein Verhalten fand. Das roch eindeutig nach Ärger, aber den hatte Ryan sich selbst zuzuschreiben.

Ein boshafter Mensch hätte sich jetzt feixend über die ihm bevorstehende Abreibung ins Fäustchen gelacht und eine Tüte Popcorn aufgerissen. Are you ready for the show?

Hey Ihr zwei, klärt das gefälligst draußen“, rief jemand quer durch die Kneipe.

Wer auch immer das gewesen war, er lieferte damit Mike das Stichwort, und kurz darauf waren beide durch die Tür verschwunden. In meinem Nebel hatte ich plötzlich einen klaren Moment, in dem mir aufging, dass er garantiert nicht einfach nur so dastehen und das Donnerwetter über sich ergehen lassen, sondern Mike nach Kräften Kontra geben würde, und nicht nur verbal. Die Spuren ihrer letzten Auseinandersetzung sprachen eine deutliche Sprache.

Dabei hätte ich schwören können, dass nach unserem Zusammenstoß auf dem Parkplatz die Fronten endlich geklärt waren. Ein glatter Fall von Fehleinschätzung, und diesmal würde der Showdown weniger glimpflich ablaufen. Am liebsten wäre ich sofort aufgesprungen und hinterher gelaufen, aber meine Beine wollten mir nicht gehorchen.

Nicht nur der Boden, sondern die Wände um mich herum schwankten bedrohlich. Mir war unangenehm warm, mein Hals wie ausgedörrt und in meinem Magen rumorte es. Der Drang, den Ort ebenfalls zu verlassen, wurde immer stärker; aber es war nicht allein die Sorge um Mike, die mich dazu trieb, sondern das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Doch alleine würde es ich nicht schaffen. Vergeblich suchte ich den Raum nach den anderen ab, die sich kurz zuvor noch am Billardtisch aufgehalten hatten, und auch Mark und Brian konnte ich nirgends entdecken. Nun waren nur noch John und ich übrig.

Wenn ein Zuviel an Alkohol mit einem Zuviel an Sauerstoff kollidiert, so sagt man, kommt der Zusammenbruch zwangsläufig. Für mich hatte er nicht lange auf sich warten lassen. Schon vor der Tür hatte ich gemerkt, wie die erste Welle auf mich zurollte. Frische Luft hatte ich haben wollen, und davon bekam ich auch jede Menge, nur war durch das Aufstehen und Verlassen des Gastraumes mein Kreislauf so in Schwung gekommen, dass die Promille in meinem Blut nun ungehemmt zuschlagen konnten und mich die Übelkeit wie aus dem Nichts überrollt hatte.

Nun lag ich in meinem Bett, trug außer meinen Jeans nur noch einen viel zu großen Sweater und litt unter grässlichen Kopfschmerzen. Wie ich vom Parkplatz in mein Zimmer und außerdem an dieses fremde Kleidungsstück gekommen war, daran konnte ich mich nur bruchstückhaft erinnern, aber an den Rest umso deutlicher. Zum Glück war mir der komplette Filmriss erspart geblieben, aber ich war auch so schon genug gestraft.

Ich wusste nicht, was schlimmer war: mein mörderischer Kater am Morgen danach oder mein peinlicher Auftritt im Pub, der zur Folge hatte, dass John und ich uns in einer Szene wiederfanden wie in „Sex and the City“, als Miranda der betrunkenen Carrie am Strand die Haare aus dem Gesicht halten muss, damit der Inhalt ihres Magens nicht in ihnen landet. Ohne seine Hilfe wäre ich wahrscheinlich schon nach den ersten Metern zu Boden gegangen und hätte mich selbst komplett eingesaut.

Selbst schuld, sagte ich mir erneut, was bist du auch so blöd und spielst allen eine Komödie vor und vernichtest das hochprozentige Zeug vor aller Augen, wo Du ganz genau weißt, welche Folgen das für Dich hat. Ein schöner Bodyguard bist Du. Aufpassen solltest Du auf ihn – am Ende war es er, der sich um Dich gekümmert hat.

Aber wenigstens hatte deine Aktion das gewünschte Ergebnis…“ resümierte Brian später, als er sich gegen Mittag zu mir in die Nische des Frühstücksraum setzte, in die ich mich mit einem riesigen Becher extrastarken Kaffees verkrümelt hatte.

Wie gut, dass wir erst am – am wievielten nochmal? – in der nächsten Stadt auftreten würden. So grauenhaft hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Was der ganze Spaß kosten würde und wo das ganze Equipment so lange lagerte, war mir sowas von egal, und sehen wollte ich erst recht niemanden. Vor allem nicht Brian, der mich im Mondschein besuchen konnte. Wo war eigentlich er gewesen, als es brenzlig geworden war? Und was war an dem Ergebnis „meiner“ Aktion wünschenswert?

Seine Antwort hatte ich nicht anders erwartet „… er ist nicht betrunken in sein Bett gefallen. Und im Vergleich zu den Tagen davor geht es ihm heute blendend.“

Yay! Spitzenleistung! Mir aber nicht. Sag mal, willst Du mich verarschen? Soll das jetzt jeden Abend so gehen? Noch zwei Wochen in dem Stil, und ich fliege als Alkoholikerin nach Hause zurück.

Oh wow! Ihm geht es blendend? Schön für ihn.“ erwiderte ich trocken und in besonders sarkastischem Tonfall, in der Hoffnung, dass er von alleine verschwand, aber wie es aussah, hatte er gar nicht vor, mir diesen Gefallen zu tun.

Für ihn war heute der Wir-nerven-Andrea-Tag. Kunststück – es war außer mir auch sonst niemand da. Entweder lagen alle immer noch in den Federn, oder sie waren heute ausnahmsweise früher als sonst aufgestanden und hatten sich in alle Winde zerstreut. Nur konnte ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Eher lag es im Bereich des Möglichen, dass keiner von uns heute etwas in den Magen bekommen hatte, obwohl der Frühstücksraum geöffnet war. Aber das war er ja immer. Es konnte ja sein, dass jemand Kaffee wollte. So wie ich jetzt.

Umständlich erhob ich mich, um mit meinem Becher zu dem Automaten zu schlurfen, der zu jeder Zeit zwischen Frühstück und Tea Time der Versorgung mit Heißgetränken diente. Aber Brian hatte beschlossen, dass er das für mich übernehmen würde. Wie nett von ihm. Mit dem Nachschub konnte ich eine der Schmerztabletten, die in meiner Gesäßtasche steckte, auf dem schnellsten Weg herunterspülen, so dass sie mit ihrem ekelhaft bitteren Geschmack erst gar nicht die Chance bekam, mich zum Würgen zu bringen. Was hinter seiner netten Geste wirklich steckte, sollte ich gleich erfahren.

Aaaah, Kaffee. Schön heiß, schön schwarz, schön stark, schön….. bääääääärgs! So sauer, das glaubt man ja gar nicht! What the f*** have you done with the coffee machine? Leaving some dish liquid in there?

Äh. Natürlich hätte ich es wissen müssen: Kaffee mit einem Schuss Zitronensaft. Die kleinen Portionspackungen lagen ja direkt griffbereit daneben. Für die Teetrinker unter den Gästen. Brians Allheilmittel gegen Kater, ein allseits unbeliebter Zustand, den er bei mir selbstverständlich nicht jeden Tag erleben wollte. Das hatte ich auch nicht vorgehabt; mir war nur leider nichts besseres eingefallen, um das drohende Unheil in Form von Jack Daniels von seinem Schützling abzuwenden. Und wo wir schon beim Thema waren: Wir würden zwar heute, morgen und übermorgen nicht auftreten, dennoch sollten wir aufpassen, dass sein Konsum über ein oder zwei Bier nicht hinausging.

Meine Taktik, das hochprozentige Zeugs auf diese Weise verschwinden zu lassen, hatte er wenig clever gefunden. Seiner Ansicht nach hätte es bestimmt noch einen anderen Weg geben, aber was passiert war, ließ sich nicht ungeschehen machen. So viel Mut zum Risiko gut und schön, aber damit so etwas nicht wieder vorkam, wollte er Johns Buddy ein letztes Mal briefen.

Die Bemerkung, dass er den Drummer gleich mit briefen sollte, verkniff ich mir an dieser Stelle. Für ihn waren Ryan und sein idiotisches Benehmen kein Thema. Ihm ging es ausschließlich um John, dessen Wohl ihm so sehr am Herzen lag. Aber warum eigentlich? Mit dieser Frage war ich auch schon mittendrin in der Geschichte seiner Band, die er jetzt vor mir ausbreitete, dabei hatte ich gar nicht vorgehabt, mich auf ein solches Gespräch einzulassen. Die widerlich saure Plörre begann bereits zu wirken, und in Kombination mit der Tablette sogar schneller als erwartet.

Sie kannten sich bereits seit der Schulzeit: Mark, Brian und John. Die Idee, sich zum Musikmachen zusammenzutun, hatte Brian gehabt, nachdem er John spielen gehört hatte, und kurz darauf hatte sich Mark angeschlossen. Gitarre, Bass, Keyboards, damit hatte alles angefangen.

„Wusstest Du, dass John ein riesiger Bewunderer von Jean-Michel Jarre ist? Er hat sich sogar selbst ein Theremin gebaut und spielt das Ding richtig gut.“

Daher auch der Name, und deshalb hatten sie auch damit angefangen, Material von Jarre nachzuspielen, bis sie irgendwann merkten, dass sie damit an ihre Grenzen stießen. Doch ohne Drummer kommt man nicht weit, und ohne Gesang erst recht nicht. Und da es weder mit Marks noch Brians Gesangskünsten weit her war, hatten sie per Aushang am Schwarzen Brett nach beidem gesucht – mit mäßigem Erfolg. Den Mann fürs Schlagzeug hatten sie zwar schnell gefunden, nur die passende Gesangsstimme ließ noch auf sich warten.

Für kurze Zeit hatten sie gedacht, dass sie mit der Sängerin einer Rockband, die in einem der benachbarten Probenräume stundenlang an ihrem Material feilten, mehr Glück hatten, und die Neuausrichtung ließ sich nicht mal übel an, zumal sich Lees Bandkollegen so miteinander überwarfen, dass sie nun im Prinzip mit OxyGen hätte loslegen können, vor allem, weil sie mit ihrer klaren Altstimme die Jungs wunderbar ergänzte.

Doch dann hatte es immer öfter Ärger mit Dylan, ihrem eifersüchtigen Partner gegeben, dem es gar nicht gefiel, dass sie mehr und mehr Zeit mit vier Typen im Probenraum verbrachte. Als dann noch Danny das Quintett vervollständigte, war die Situation eskaliert, weil Dylan Lee unterstellte, dass sie mehr in Danny sah als nur einen Bandkollegen. Durch seine vielen Kontakte hatte Brian den ersten Gig an Land ziehen können. Leider war dieser erste Auftritt zugleich auch der letzte mit Lee am Mikrofon gewesen, weil Dylan sie vor die Wahl gestellt hatte: entweder er oder Danny, respektive die Band. Leider hatte Lee nicht ausreichend Courage besessen, die richtige Entscheidung zu treffen.

„Shit happens“, sagte er achselzuckend und holte sich einen Kaffee. Aber ohne Zitrone. Die hatte er ja auch nicht nötig, so fit wie er war; so fit, dass er mir dann auch noch den Rest erzählte.

„Eine Band ohne Leadsänger oder -sängerin ist wie ein Weihnachtsbaum ohne Beleuchtung.“

Und ein Weihnachtsbaum ohne Beleuchtung ist wie eine Katze ohne Schwanz. Wie kam ich denn jetzt auf diesen dämlichen Vergleich mit der Katze? Weil mein Kater nun endlich abklang? Sollte Brians Rosskur am Ende doch gewirkt haben? Jetzt, wo der schlimmste Teil des Katers hinter mir lag, meldete sich nicht nur der Hunger bei mir zurück.

Und wie ist es dann weitergegangen?“ wollte ich wissen.

Nach dem Verlust ihrer Leadsängerin hatten die nächsten Kandidaten bestimmt nicht Schlange gestanden. Viel wahrscheinlicher war, dass sie eine Weile nur zu fünft weitermachen mussten, weil kein geeigneter Kandidat in Sicht war. Mit dieser Einschätzung lag ich richtig, dumm war nur, dass der nächste Auftritt bereits mit Riesenschritten näher rückte, sie aber noch immer niemanden für den Gesang gefunden hatten.

„Lass mich raten: Ihr habt in den sauren Apfel gebissen und ein Instrumentalset hingelegt…“

Damit lag ich beinahe richtig. Jedenfalls war das ihr Plan gewesen, denn den Gig abzusagen, kam nicht in Frage. Warum sie es nicht getan hatten, war die Frage, die ich mir stellte, denn der größte Teil des ziemlich überschaubaren Publikums war hauptsächlich wegen Lee gekommen, und da die fehlte, machte sich so langsam Unmut breit. Da konnten sie noch so gut sein, aber hinzu kam, dass sie an dem Abend noch nicht einmal besonders gut in Form waren.

„Bis zur Pause hatte sich der Saal immer weiter geleert, und dann stand da plötzlich dieser Typ“ Mike. „Er hatte seit Beginn der Show an der Bar gesessen und uns beobachtet, und in der Pause machte er uns dann einen Vorschlag.“

Welche Ironie! Keine Annonce der Welt hatte OxyGen zu einem Sänger verhelfen können, doch als sie erhobenen Hauptes unterzugehen drohten, war da plötzlich jemand aufgetaucht, der sich den Jungs als Sänger anbot.

„Castings sehen normalerweise anders aus, aber die Location war ohnehin nur dürftig besucht, und was hatten wir schon zu verlieren. Viel schlimmer konnte es nicht mehr werden.“

Und damit sollte er Recht behalten, denn wider Erwarten ergriffen nicht noch mehr Zuhörer die Flucht. An diesem Abend war die Sache beschlossen. OxyGen waren endlich komplett. Der Rest war schnell erzählt.

Nach und nach hatte sich ihr Stil dank unterschiedlicher musikalischer Vorlieben der einzelnen Bandmitglieder in Richtung Wave, Rock und Folk verschoben, den Bandnamen aber hatten sie behalten.

„Blöd nur, dass so ein Name falsche Erwartungen bei den falschen Leuten weckt.“

Das hatte er zwar bereits bei der Suche nach einem sechsten und letzten Bandmitglied getan, aber diese Erkenntnis war nicht neu für ihn. Brian musste sehr viel an ihm liegen, dass er und seine Kollegen immer noch an diesem vielleicht nicht mehr ganz so passenden Namen festhielten. Hätten meine Freunde das gleiche für mich getan? So langsam dämmerte es mir: Sein Freund aus der Schulzeit war das Herz der Band. Nicht Mike, auch wenn der die Gruppe vervollständigte.

„Aber das ist das Problem mit John. Er wird von allen unterschätzt.“